Der Himmel öffnet sich

Es dunkelte langsam und der Sternenhimmel erschien aus der Dämmerung heraus in voller Klarheit über uns. Der große Projektor drehte sich und wir sahen, wie sich die Himmelslichter bewegten. Im großen Saal des Planetariums in Hamburg lehnten wir uns in den Stühlen bequem zurück. Der Vortrag, zu dem wir gekommen waren hieß: „Der Stern von Bethlehem“. Der Astronom, der den Vortrag hielt, versetzte uns in der Zeit zurück in das vermutliche Geburtsjahr Jesu. Welche Sternenkonstellationen waren damals zu sehen? Gab es in ihnen etwas, das auf den Stern von Bethlehem schließen ließ? Tatsächlich gibt es in der Sternenkunde verschiedene Theorien, welche helle Himmelserscheinung wohl damals als Stern von Bethlehem gedeutet werden konnte. Was haben die babylonischen Astronomen, die „Weisen aus dem Morgenland“ damals gesehen? Babylon hatte eine große astronomische Tradition. Die „Weisen“ damals zeichneten die Sternenkonstellationen auf, um Vorhersagen über die Zukunft treffen zu können, etwa die Ernte des kommenden Jahres oder bevorstehende Katastrophen. Es wäre schön, wenn die heutige Wissenschaft den biblischen Bericht von der Entdeckung eines besonderen Sterns bestätigen könnte. Es ist aber nicht notwendig.

Was war ein Stern aus der Sicht eines Menschen des 1. Jahrhunderts? Dazu gibt es verschiedene Möglichkeiten. Der antiken Welt galten die Sterne häufig als lebendige Wesen, als Gottheiten, die ihren Ort am Himmel haben und dort als leuchtende Punkte zu sehen sind. Der Schöpfungsbericht der Bibel weist diese Vorstellung zurück. Die Sterne sind, wie Sonne und Mond auch, keine Gottheiten, sondern Schöpfungen des einen Gottes, der ihnen ihren Platz am Himmel zugewiesen hat (Gen 1, Ps 8,4). Sie sind nichts mehr als „Leuchten am Himmel“. Nach dem Alten Testament ist Gott zuweilen in einer Sphäre oberhalb des Firmaments zu finden, im Himmel über den Himmeln (Dtn 10,14). Der Himmel ist in den Psalmen ein Zelt, das über dem göttlichen Dasein im Licht errichtet ist (Ps 104,2). So gab es in der griechischen (hellenistischen) Welt auch die Vorstellung, dass die Sterne Öffnungen im Himmelszelt sind, durch die das göttliche Licht auf die Erde scheint. So stellen es einige Weihnachtsikonen der orthodoxen Kirche dar. Das Firmament wird über der Geburtsgrotte geöffnet und ein Strahl des überirdischen Lichtes trifft auf das Jesuskind. So illustriert die Weihnachtsikone die Aussage des Großen Glaubensbekenntnisses, in dem es heißt: „Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er [Jesus / der Sohn] vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria.“

Der Stern von Betlehem kann als eine solche Öffnung des Himmels verstanden werden. Deshalb steht er genau über dem Stall von Bethlehem. Für den Weisen der damaligen Zeit ist dieses Zeichen entschlüsselbar gewesen. Der Himmel hat sich geöffnet, Gott ist Mensch geworden. Unsere irdische Geschichte verbindet sich mit der göttlichen Ewigkeit. Aber noch ist es Nacht. Jesu wahres Wesen entbirgt sich erst Stück für Stück. Bei der Taufe schließlich reißt der Himmel auf (Mk 1,10). Aus der kleinen Öffnung wird eine große. Der Blick in die göttliche Herrlichkeit wird sichtbar. Der Geist Gottes gießt sich über dem Jordan aus und die Stimme des Vaters spricht das Offenbarungswort: „Dieser ist mein geliebter Sohn“.

Die beiden Feste der Epiphanie und der Taufe Jesu sind eng miteinander verbunden. Wir sprechen zwar von der „Weihnachtszeit“, die von der Nacht des 24. Dezember bis zum Fest der Taufe Jesu dauert. Vielleicht ist diese Bezeichnung nicht ganz exakt. Bei „Weihnachten“ denken wir natürlich als erstes an Betlehem und das Kind in der Krippe. In einem italienischen Fachbuch habe ich stattdessen den Begriff „Tempo della Manifestazione“ für diese liturgische Zeit gefunden. Das kann übersetzt werden mit: „Zeit der Offenbarung“, oder auch „Zeit der Erscheinung“. Im Wort „manifestazione“ steckt aber noch mehr. Es bedeutet, dass etwas greifbar wird, Gestalt gewinnt. Ein Kunstwerk ist die Manifestation eines künstlerischen Prozesses, ein Text Manifestation eines Gedankens, ein Haus die Manifestation einer architektonischen Zeichnung, ein Kuss die Manifestation der Zuneigung von zwei Menschen. Die Prophezeiungen des Alten Testaments werden auf einmal manifest. Sie gewinnen Gestalt. Jesus wird so die Manifestation des unsichtbaren Gottes in sichtbarer menschlicher Gestalt.

Darum geht es – dies zu verstehen. Die Kindheitserzählungen der Bibel erzählen davon, wie Menschen auf ihre ganz eigene Weise zu diesem Verstehen gelangen: Maria und Josef, die Hirten, die Weisen aus dem Osten, König Herodes, Simeon und Hannah im Tempel und schließlich bei der Taufe Jesu Johannes der Täufer. So stellt das Evangelium uns, seinen Hörern und Lesern die gleiche Frage: „Kannst Du das verstehen? Kannst du verstehen, dass sich der Himmel geöffnet hat und Gott auf einmal nicht mehr unerreichbar ist? Du wirst es auf deine Weise verstehen müssen, aber du kannst es verstehen.“

Im Grunde ist der Stern von Bethlehem nie verschwunden. Er steht nicht als Himmelskörper über uns, sondern als Aussage des Glaubens. Er weist bis heute den Weg zu Jesus, als dem Ort, an dem Gottes Gegenwart erfahrbar wird. Als sich im Planetarium der Projektor drehte und die künstlich erzeugte Nacht dem Tag wich, hatten wir zwar viel gelernt, das Eigentliche aber nicht erfahren. Der Stern von Bethlehem stand noch immer über unserem Leben, als wir das Planetarium verließen und bleibt bis heute dort stehen. Man muss es nur verstehen können.   

5 Kommentare zu „Der Himmel öffnet sich

  1. Lieber Georg,

    das Wort entbirgt fand ich sehr originell und passend an der Stelle. Es
    hat nochmal einen anderen Klang und eine andere „Denke“als das Wort
    offenbaren.

    Vielen Dank für „sensus fidei“, ich lese jedes Mal mit Interesse und
    Freude . Manche Beiträge habe ich auch gesondert gespeichert. Das wollte
    ich schon lange mal loswerden. Ich hoffe, dass es Dir noch lange möglich
    sein wird, diese Serie weiterzuführen.

    Ein gutes, segensreiches 2024 wünsche ich Dir

    Juliane

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  2. Ich habe es mir so gut wie abgewöhnt Blogs mit pastoraltheologischen Inhalten zu verfolgen – wohl meine deformation professionelle: alles schon mal gehört, alles schon mal dagewesen, zu selten Tiefgang, zu oft eindimensional.

    Da heben sich Ihre Ausführungen wohlwollend ab und ich bleibe ein geneigter Leser.

    So möchte ich an dieser Stelle mal DANKE sagen und Ihnen alles Gute für 2024 wünschen!

    Herzlich
    Jürgen Brinkmann

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      1. Danke sehr! Es sollte übrigens „wohltuend“ statt wohlwollend heißen, da war ich zu schnell…

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