In die Wüste berufen [im Gedenken an den verstorbenen Weihbischof Norbert Werbs]

In der Nacht vom 2. zum 3. Januar starb Norbert Werbs, 1981 bis 2015 Weihbischof in Schwerin. In diesen Tagen werden im Erzbistum Hamburg die Trauerfeierlichkeiten für ihn gefeiert. In Schwerin-Lankow, am Sitz der Schweriner Weihbischöfe erinnern wir als Gemeinde am Sonntag der Taufe des Herrn besonders an ihn, wie der folgende Predigttext dokumentiert.

Die weihnachtliche Zeit endet dort, wo sie begonnen hat. Wie zu Beginn des Advents führen die Schriftlesungen noch einmal in die Wüste, zu Johannes dem Täufer. Im Advent war Johannes als Vorläufer Jesu aufgetreten. Der Wüstenasket rief die Menschen zur Umkehr und sagte das Kommen des Messias voraus. Jetzt, zum Fest der Taufe des Herrn am Ende der Weihnachtszeit begegnen sich der Vorhergesagte und der Vorhersagende. Es ist eine eigenartige Szene, in der eine bedeutende Wende markiert wird. Als Jesus zur Taufe kommt, ist Johannes noch der Meister, Jesus sein Jünger. Als Johannes in der Taufe erkennt, mit wem er es zu tun hat, schreckt er zurück. Es kommt der, von dem er gesagt hat, er sei es nicht wert, ihm die Schuhe aufzuschnüren. Als Jesus dann in den Jordan steigt wird Johannes sein Jünger. Im Lukasevangelium nimmt Jesus ihn, den Vorausgänger als Nachfolger zum gemeinsamen Werk an. „Lass es zu, denn nur so können wir die Gerechtigkeit, die Gott fordert ganz erfüllen“ (Mt 3,13-17). Die Person des Johannes wirkt in dieser Szene als Berufener, der seine Berufung noch nicht glauben kann. Tatsächlich, Jesus nimmt ihn in den Dienst.

In diesen Tagen denken wir in besonderer Weise an den verstorbenen Weihbischof Norbert Werbs. Hier, in Schwerin-Lankow hat er während seiner Zeit als Bischof gewohnt und gearbeitet. Wir nehmen sein Andenken mit in diese Szene hinein. Die Wesensart des Johannes war ihm nicht ganz fern. Er erschien vielen als Asket, auch wenn er ein keineswegs düsterer Mensch war, sondern einen sehr feinen Humor hatte. Mehr aber noch haben ihn viele als eindringlichen und unerschütterlicher Verkünder und Mahner erlebt. Norbert Werbs hatte keine Freude daran, dass seiner eigenen Person zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Er wies lieber von sich weg, sah sich ganz der Verkündigung, seinem Amt und der kirchlichen Lehre verpflichtet. Er hätte dem johanneischen Auftrag, Mitarbeiter der Gerechtigkeit Gottes zu sein, sicher für sich persönlich zugestimmt. Für diese Gerechtigkeit galt es zu arbeiten, oft unter widrigen Bedingungen, mit großer Objektivität, die ihn zuweilen in schwere Konflikte brachte und persönliche Beziehungen hintenanstellte.

Jetzt ist die Wüste von Juda, der Wirkungsort des Johannes sicher nicht mit Mecklenburg zu vergleichen. In gewisser Weise allerdings ist der Vergleich sicher erlaubt. Norbert Werbs wurde 1940 in den Krieg hinein geboren. Er erlebte als Kind die Nachkriegszeit mit den vielen Flüchtlingen und Vertriebenen, die aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten nach Mecklenburg kamen. Er kannte die Mühen um den Aufbau der katholischen Kirche im Nordosten, die immer eine kleine Minderheit war. Mit der Gründung der DDR befand sich diese Kirche in einem zunehmend widerständigen Verhältnis zum Staat und zur kommunistischen Ideologie. Es folgten in den 60er Jahren die ersten harten Auseinandersetzungen. Es war die Zeit, in der Norbert Werbs zum Diakon und Priester geweiht wurde und seine erste Kaplanszeit in Neubrandenburg, der sozialistischen Musterstadt Mecklenburgs begann. Die Kirche empfand sich als Gegengewicht zum Staat. Sie bildete in den Gemeinden Rückzugs- und Schutzgebiete aus, eine gegenweltliche Realität, die hart erkämpfte Freiheiten bot. So war es ein Zeichen der Zeit, dass die Seelsorger vor allem mit dem Aufbau, dem Zusammenhalt und der Verteidigung der Gemeinden in einer missgünstigen Umwelt beschäftigt waren. Dass Norbert Werbs 1981 zum Weihbischof in Mecklenburg geweiht wurde, war eine Reaktion auf das bedrückende staatliche Umfeld der DDR. Die Bischöfe sorgten sich um die Zukunft der Kirche und fragten sich, ob Bischofsweihen in Zukunft möglich sein würden. So suchte man einige jüngere Priester, denen bereits früh das bischöfliche Amt übertragen werden konnte und sicherte so die Nachfolge in der sakramentalen und administrativen Leitung der DDR-Bistümer und -Administraturen.

Die Gemeinden zu bewahren, auch wenn sie häufig klein waren, die Katholiken durch die Gemeinschaft, aber auch durch eine bodenständige christliche Lehre zu stärken – diesen Impuls hat Norbert Werbs sein Leben lang bewahrt. Er mochte das Spektakuläre nicht, auch nicht eine unvorsichtige Öffnung in die zuletzt so pluralistische Gesellschaft hinein. Er misstraute den Prognosen der Soziologen und Pastoraltheologen, er war pastoralen Zukunftsplanungen des Bistums gegenüber skeptisch. Er kämpfte für den Religionsunterricht und die kirchliche Jugendarbeit, für einen sozialen und caritativen Geist der kirchlichen Gemeinschaften und auch für eine gewisse Disziplin der Lehre und der Moral. Es mag sein, dass er dabei auch einiges schützen wollte, dessen Zeit bereits zu Ende gegangen war. Es mag sein, dass er aus dem Schutzimpuls heraus einiges nicht gesehen hat, oder auch Neuaufbrüche verhinderte. Er war sich selbst gegenüber sehr kritisch und wusste, dass er sicher auch manche falsche Entscheidung getroffen hat. Nüchternheit und Realismus haben ihn geprägt, Pflichterfüllung und Einsatz auch bis an die Grenzen seiner physischen Kräfte.

Aber man darf sich nicht täuschen. Wie ich meine, war die Sicht des Weihbischofs immer sehr realistisch, nie nostalgisch, aber auch nie euphorisch der Zukunft gegenüber. Es galt für ihn immer, das zu tun, was möglich war und den klaren Kompass dabei nicht zu verlieren.

Er konnte sich darüber ärgern, wenn Geld aus seiner Sicht verschwendet wurde, wenn seiner Meinung nach die Gemeinden im Denken der Bistumsleitung zu kurz kamen. Er ärgerte sich über Priester, die nicht genügend Einsatz zeigten und er ärgerte sich, wenn die Verdienste und Entbehrungen vieler Christen in Mecklenburg keine angemessene Würdigung fanden. Er sah sich verpflichtet, die Gläubigen und ihre Seelsorger zusammenzuhalten und auf ein gutes, familiäres Miteinander hin zu prägen. Er bewahrte sich auch nach der DDR-Zeit eine gewisse Skepsis gegenüber der pluralen Gesellschaft. Die Wendezeit war nicht nur positiv konnotiert. Zwar war nun die freiheitliche Ausübung des Glaubens möglich und mit einem Mal verfügte man über das Geld, neue Kirchen und Einrichtungen zu bauen oder Bestehende zu renovieren. Zugleich aber nahm die Unverbindlichkeit der Teilnahme am kirchlichen Leben zu. Viele, gerade jüngere Katholiken verließen Mecklenburg. Bislang aktive und glaubensstarke Gemeinden dünnten aus, die Zahl der Berufungen zum geistlichen oder seelsorgerlichen Dienst nahm stark ab. In gewisser Weise erreicht uns die Wüste in diesen Jahren stärker als vielleicht je zuvor.

In dieser Wüste lässt sich Johannes in den Dienst nehmen, mit Jesus für die Gerechtigkeit Gottes zu wirken. Viele Christen heute sehen sich auf unangenehme Weise mit dieser Wüste konfrontiert, die ihre bislang als sicher geglaubten Oasen erreicht. So manche Wasserstelle ist ausgetrocknet und zwingt uns wieder auf die Wanderschaft mit ungewissem Ausgang. Gottes Verheißung kennt diese Wüstenzeiten. Sie treten in der Geschichte seines Volkes immer wieder auf. Der Advent beginnt daher immer mit der Verheißung des Jesaja. Die Wüste soll jubeln. Ihr trockenes Land wird wieder blühen. Wann es soweit ist, wissen wir nicht.

Beitragsbild: Kirche St. Martin, Erzbischöfliches Amt Schwerin

4 Kommentare zu „In die Wüste berufen [im Gedenken an den verstorbenen Weihbischof Norbert Werbs]

  1. Ich habe mich schon als Kind immer gewundert: Eigentlich müssten Jesus und Johannes d.T. sich doch persönlich gut gekannt haben. Wenn Jesu Mutter, schon bald nach Beginn ihrer Schwangerschaft zu Elisabeth wandert, dort 6 Monate bis zur Geburt des Sohnes Johannes bleibt – und dann – inzwischen ja selbst hochschwanger „übers Gebirg“ nach Nazareth zurückwandert, dann müssen sich die beiden Söhne doch sicher ziemlich gut gekannt haben. M.W. ist an keiner Stelle der Bibel davon die Rede.
    Gibt es eine Erklärung, warum in der Bibel darüber nie „gesprochen“ wird?
    Hat sich kein Kirchenvater je dazu geäußert?

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  2. Meine erste Begegnung mit Weihbischof Werbs war mein offizieller Antrittsbesuch bei ihm am 27. Februar 1997 im Erzbischöflichen Amt Schwerin. Ich hatte zum 1. Oktober 1996 mein Kommando als Kommandeur im Verteidigungsbezirk 86 in Schwerin übernommen. Die Begegnung war für Werbs, wie er am Ende des Besuchs bemerkte, wieder eines der positiven Erlebnisse im gesellschaftlichen Miteinander seit der politischen Wende. Sinngemäß: „Da sitzt hier vor mir ein höherer Offizier in Uniform – als wenn es das Normalste der Welt wäre. Und dann ist er auch noch katholisch, war Messdiener und ist wie ich im Mai 1940 geboren. Da haben wir beide ja schon drei Gemeinsamkeiten!“
    Diese Begegnung hat unseren Weihbischof wohl sehr stark beeindruckt, denn er kam bei unseren weiteren Treffen häufig darauf zu sprechen.
    In meinem Kommando konnte ich weder auf einen evangelischen noch auf einen katholischen Militärpfarrer zurückgreifen. Die strukturelle Einrichtung einer
    Militärseelsorge gab es in der NVA nicht und so war es wohl im Aufbau Ost kein so dringendes Thema. Es war wie so vieles Neuland und es galt damals, besonders auf den kirchenpolitischen Ebenen der protestantischen Kirche, erst noch die entsprechende Überzeugungsarbeit zu leisten. Aber mit der Unterstützung durch Landesbischof Beste von der Evangelischen Landeskirche und Weihbischof Werbs gelang es uns schon sehr zügig, diese Lücke in der Seelsorge für die Soldaten in meinem Kommando zu schließen.
    Weihbischof Werbs aktiv begegnet zu sein und im Gedankenaustausch erlebt zu haben, berührt mich in dankbarer Erinnerung mit ehrendem Gedenken.
    Reinhard Wegener, Oberst a.D.

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