An diesem eingeschränkten und verborgenen Osterfest haben wir in der Pfarrei die Predigten unter uns Priestern aufgeteilt. Die Osterpredigt hat unser Kaplan geschrieben. Der folgende Text ist eine frühere Osterpredigt, die aber, wie ich meine, auch ganz gut in dieses Jahr passt.
Der englische Gelehrte und Heilige, Thomas Morus nahm im Jahr 1516 die Humanisten und Gebildeten Europas auf eine geistige Exkursion mit. Ziel war die von ihm erfundene Insel Utopia. Sein Reisebericht beschrieb bewusst nicht ihre Lage, oder den Weg, um zu ihr zu gelangen, schilderte aber umso genauer das Wesen ihrer Bewohner, ihre Gepflogenheiten, Arbeits- und Geisteswelt. Thomas Morus baute sich in Gedanken eine ganz eigene Welt. Seine Frage war: Wie müsste eine Welt aussehen, in der es gerecht zugeht, in der alle Menschen glücklich leben könnten? Und so konstruierte er für seine Insel Utopia ein eigenes, an die Demokratie angelehntes Staatswesen, ein neues Wirtschaftssystem, eine Gesellschaftsordnung, die auf Bildung, soziale Verantwortung und freie Teilhabe an den Gütern aufbaute. Utopia war ein vollends geglücktes Land, die Bewohner von Utopia glückliche Leute, weil sie auf ihrer eigenen Erde alles wohlgeordnet und gelungen vorfanden, alle Voraussetzungen für ein erfülltes Leben gegeben waren.
Wie würde eine Welt aussehen, die Sie sich ausdenken würden? Sicher wäre es eine Welt ohne Krieg, ohne Armut, ohne Krankheiten und ohne Leiden. Aber auch ganz für den persönlichen Bereich gefragt: Was bräuchte es, damit mein Leben glücken kann? Welche Entscheidung würden sie anders treffen wollen, wenn sie noch einmal von vorn beginnen könnten und welche würden sie wieder so treffen. Welches Ereignis in Ihrem Leben würden Sie gerne ungeschehen machen, welches Versäumnis nachholen? Und noch weiter gefragt: Wäre nicht eine Welt wünschenswert, in der mir Enttäuschungen erspart blieben, in der jedes Gespräch und jede Begegnung glücken kann? Wäre nicht eine Welt wünschenswert, in der ich keinen Zorn gegen andere hätte, nicht neidisch oder eifersüchtig sein müsste, in der es keinen Liebeskummer und keine Beziehungsprobleme gäbe, in der Sorgen mich weiter frei atmen ließen und vor allem die tiefe Trauer des Todes und Abschieds nicht wäre?
Wir leben nicht in einer Utopie, schon der Name Utopie bedeutet schließlich „Nicht-Ort“, aber in einer Welt, von der wir glauben, dass im Ursprung von der göttlichen Weisheit geplant und erbaut worden ist. Der Schöpfungsbericht erzählt, wie Gott die Welt als ein Haus des Lebens Stück für Stück errichtet, wie er das Licht erschafft, das Chaos ordnet, Wasser und Land trennt und so Lebensraum schafft für die Pflanzen, die Tiere des Wassers, des Lande und der Luft, wie er am sechsten Tag den Menschen in dieses Lebenshaus setzt. Und heißt es nicht nach jedem Tag, dass Gott das Getane betrachtete und sah, dass es gut war?
Der Höhepunkt der Schöpfung ist der siebte Tag, an dem sich das Werk vollendet. Es ist der Tag, an dem alles Leben im tiefen Frieden zusammenkommt, an dem die ganze Schöpfung mit ihrem Schöpfer eins ist. Es ist der vollends geglückte Tag gottmenschlichen Zusammenwirkens, an dem nichts die Harmonie des Lebens und der gegenseitigen Liebe stört. Nach diesem siebten Tag haben sich die Generationen der Gläubigen ausgestreckt. Die Israeliten haben einen Vorgeschmack erfahren, als sie am Schilfmeer gerettet wurden. Das war der Tag, wo sie ganz mit Gott eins waren, die Propheten haben gegen alle Anzeichen ihrer Zeit immer wieder auf diesen Tag hingewiesen, an dem Gott seine Liebe zu seinem Volk wieder erneuert, an dem er tote, steinerne Herz der Menschen gegen ein lebendiges austauschen würde.
Was geschieht nun am heutigen Fest? Nicht weniger, als dass die neue Welt vor unseren Augen entsteht. Das Dunkel der Kirche in der Osternacht ist das Dunkel, in dem die Erde wüst und leer lag. Die Schöpfung erscheint in der Schaffung des Lichtes, dieses Licht, dass von uns gedeutet wird als Jesus Christus, der sich selbst als Licht der Welt offenbart hat.
Ostern ist Anbruch neuer Welt. Einmal in der Geschichte, an ihrem Wendepunkt geht in Erfüllung, wonach sich so viele ausstrecken, der Tag gottmenschlicher Harmonie, der Tag vollends glückenden Lebens, weil an ihm alles überwunden ist was uns quält. In Christus geht sein Leben, sein Leiden und Sterben ein in den Jubel der Auferstehung. Auch der letzte Feind, der Tod ist besiegt. Das Leben hat das letzte Wort, weil Gott die Liebe zu seinem Schöpfungswerk erneuert. Gott sieht, dass es gut ist, sehr gut.
Ist es nun utopisch, daran zu glauben? Oder finden wir dieses glückende Leben nicht wieder, die Goldader im Steinbruch unseres Lebens, in dem so vieles so grau und alltäglich erscheint? Teilt sich der österlicher Friede nicht mit, dort wo wirkliche Freude herrscht, dort, wo das Leben glückt, in einer erfüllenden Begegnung, in der verlässlichen Freundschaft, im Gelingen eines Lebensprojekts, in der geglückten Beziehung, in der Liebe zu den Kindern? Zeigt sich die österliche Spur des neuen Lebens nicht in erfahrener und gebender Hilfe, in der Linderung fremder Not, im Einstehen für den Frieden, im Moment des gelingenden Gebets und der Herzensöffnung Gott gegenüber? Sind nicht zuletzt die Sakramente Zeichen dieser erneuerten Beziehung Gottes mit den Menschen, Momente seiner innigsten Nähe und Zuwendung? Und schwebt über allem nicht die unausdenkbare Verheißung eines neuen Lebens, einmal, wenn der auch unser Tod besiegt sein wird?
Die Utopien vergangener Zeiten sind vergessen oder überholt. Das Wesensmerkmal Utopias ist, dass es diesen Ort niemals geben wird. Aber das zutiefst in sie eingeschriebene Gutsein der Welt, die Liebe und Treue Gottes zu seinem Werk, der Sieg über die Feindschaft und den Tod, die sind Realität, in diesem, wie im kommenden Leben. Lassen Sie uns mitgehen mit dieser Spur des Lebens und des Heiles. Ostern ist kein Versprechen, sondern Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit zu feiern sind wir hier, diese Wirklichkeit die sich im österlichen Jubel Ausdruck gibt: Der Herr ist wahrhaft auferstanden. Halleluja.