Kinderbücher, die sind ja meistens sehr vorhersagbar, präsentieren zu Beginn, einen Held oder Heldin. Er/sie ist zwar sehr sympathisch, fröhlich, kess, im Grunde artig aber hat, das wird man seh’n meist ein schwereres Problem. Denn ein größ’res Defizit, einen Makel bringt sie mit: Unsre Heldin ist zu klein, schüchtern, traurig und allein, oder sie ist, andersrum, viel zu laut, zu stark, zu dumm, oder kommt aus fernen Ländern, von gesellschaftlichen Rändern, manchmal aus dem Weltraum her, der Vater war ein Zauberer, wie’s auch sei, in jedem Fall ist das Mädchen nicht normal. Ausgegrenzt und heimatlos sucht es einen Lebenstrost und gibt dann im Lauf der Handlung ihrem Leben eine Wandlung. Denn meist schon ab Seite neun trifft sie einen neuen Freund, der durch Zufall alldieweil gerade ist ihr Gegenteil. War das Mädchen ziemlich klein, wird der Freund ein Riese sein, war das Mädchen traurig nur ist der Freund ’ne Frohnatur. War das Mädchen kess und schlau ist dem Freund vor allem flau. Beide woll’n beim Kennenlernen sich am liebsten schnell entfernen. Doch im Lauf der Handlung dann freunden sie sich langsam an. Und am Ende der Affaire steht im Kinderbuch die Lehre: Eurer aller Gegensätze sind in Wahrheit eure Schätze. Wenn nur jeder seine Stärken einbringt, dann kann jeder merken, dass sich Gegensätze trügen, potentiell harmonisch fügen. Es können sich am Schluss die beiden sogar wirklich bestens leiden. Gegensätze können schwinden, Feindschaft kann man überwinden. Sowas nennt man Dialektik, ähnlich wie bei der Elektrik: Für Strom und Spannung braucht man wohl einen Plus- und Minuspol. Doch weg nun vom Physikversuch, zugeklappt das Kinderbuch, wechseln wir das Medium, schau’n zum Evangelium. Dieses ist, so scheint es, auch dialektisch angehaucht. Ja, es treibt die Gegensätze sogar nochmal auf die Spitze. Dieser Text, den man ja kennt, ist ein Denkexperiment: Schaut auf das, was gerade kräftig euch im Leben so beschäftigt, wo es gerade knirscht und kracht, was euch großen Ärger macht. Wer in dieser Episode ist dein größter Antipode? Wer bringt dir dein Blut zum Wallen, bei wem sich dir die Fäuste ballen? Wer bewirkt am Rücken Schauer? Auf wen bist du so richtig sauer? Ein solcher Gegner ist gemeint, man nennt ihn altertümlich „Feind“. Das Verhältnis ist gewöhnlich zu ihm ziemlich unversöhnlich. Und jetzt, im Evangelium, dreht sich die Dialektik um: Du sollst den Feind nun nicht mehr hassen sollst nicht mal ihn in Ruhe lassen, nein, mehr noch, so steht es geschrieben: Du sollst den Feind auf einmal lieben. Und am Ende der Affäre Steht wie im Kinderbuch die Lehre: Eurer aller Gegensätze Sind in Wahrheit eure Schätze. Es können sich am Schluss die beiden Sogar wirklich bestens leiden. Gegensätze können schwinden Feindschaft kann man überwinden, und so weiter alles klar, et cetera et cetera… Solche Weisheit der Geschichten kann man sich ja leicht erdichten. Kindern kann man leicht empfehlen, Harmonie und Glück zu wählen. Doch mit Blick auf diese Welt solche Hoffnung sich verfehlt. Harmonie ist dort doch kaum mehr als ein naiver Traum. Wie säh’s aus, wenn das geschieht, dass jeder seine Feinde liebt? Dann lieben Saudis den Iran, Jan Böhmermann liebt Erdogan und Boris Johnson die EU, Theresa May auch noch dazu? Computerfirmen lieben Hacker und Dagobert die Panzerknacker. Die Trockenheit macht Bauern froh, die CDU wählt Ramelow. Kinder lieben Medizin und Rostocker lieben Schwerin. Dann liebt der rote Fuchs das Huhn und Donald Trump liebt Kim Jong Un. Die AfD trifft auf die Linken bei einem netten Kaffeetrinken. Im Showbusiness ist nun Bushido auf einmal größter Fan von Sido. Die Schalker lieben Dortmund, klar! Hans Küng verehrt jetzt Ratzinger. Dann liebt Frau Merkel Friedrich Merz, das alles klingt doch wie ein Scherz, ganz ehrlich: das geschieht doch nie, der Bibeltext bleibt Utopie. Und außerdem: Wer meint zu glauben den Anspruch so heraufzuschrauben, der irrt gewaltig, wie es scheint. Die Bibel es nie wörtlich meint. Die beste Art zu lesen ist, liest man den Text als Realist. Denn an der Wirklichkeit gemessen wird ja niemals so heiß gegessen, wie man zuvor gekocht hat. Dann spricht mich der Text „symbolisch“ an. Eigentlich möcht’ er mir sagen: Die Menschen sollen sich vertragen, denn wenn ein jeder gut es meint, hat niemand mehr ’nen echten Feind. In unserer friedliebenden Zeit sind Feindbilder Vergangenheit. Die heut noch and’re schmähen, lästern, zum Feind erklär’n, die sind von gestern. Wer heute führt noch Feindeslisten: Scharfmacher sind’s und Revanchisten. Vor solchem zänkischen Gebaren soll uns unsre Vernunft bewahren. Und diese Weisheit lasst mäandern: Die Feindseligen, das sind die andern! Wer jedoch so auf and’re schaut, hat selbst ein Feindbild sich gebaut. In Wirklichkeit, so die Tendenzen, versucht man sich schnell abzugrenzen und eine Krankheit unserer Zeit ist die tiefe Zerstrittenheit von Gruppen oder auch Parteien, die sich der Meinungsmache zeihen, die dreschen die stets gleichen Phrasen in autonomen Meinungsblasen. Die and’re Meinung braucht man nicht, wer richtig denkt, bestimme ich. Lass ich das andre gar nicht zu, hab ich harmonisch meine Ruh. Dann brauch ich Menschen nur begegnen, die meine Ansicht stets bestät’gen. Wer in die Meinungsblase zog, braucht nie mehr einen Dialog. Und über Menschen andrer Blasen, rümpfen wir einfach un’sre Nasen. Den and’ren wirklich zuzuhören würde so manchen nur verstören. „Liebt eure Feinde“, das hat Wucht, ist mehr als ein Kalenderspruch. Wer diesem Worte leiht sein Ohr, der nimmt sich etwas Schweres vor. Es wird ihm viele Kräfte binden, sich erst einmal zu überwinden, dem Feind, dem Quälgeist ohnegleichen geschwisterlich die Hand zu reichen. Denn Liebe, das meint manchmal neue Anfänge wagen, das meint Reue, Selbstdistanz, Vergebung, Mut und, dass die Aufgeregtheit ruht. Vielleicht heißt Liebe hier beizeiten, sich mit dem Gegner so zu streiten, dass man ihm nicht die Würde nimmt, ihn nicht als erstes überstimmt. Es heißt, ohne sich zu verbiegen, ihn wieder ins Gespräch zu kriegen, ihn in mein Denken einzubinden, gemeinsam Lösungen zu finden und statt einander anzuschreien, sich hin und wieder zu verzeihen. Dann werden für der Wahrheit Licht die Grenzen langsam durchsichtig, das über unserm Leben scheint, die Weisheit Gottes ist gemeint. Wenn er für uns Verständnis hat dann steht uns an, an seiner statt mit seiner Hilfe auf den andern verständnisvoll auch zuzuwandern. Im Kinderbuch, wie ich gemeint, braucht es zur Heldin einen Freund, der anders als sie selber ist, bei dem sie ihre Angst vergisst und ihre Schwäche nicht mehr zählt, weil sie dem Freund auch so gefällt. Die Freundschaft bereits ist enorm, sie ist der Liebe erste Form. So will das Evangelium mein Freundschaftsbuch mit Jesus sein. Er ist ein solcher Freund, der sich so auf mich einlässt, dass ich mich der eignen Schwäche nicht mehr schämen sondern der Freundschaft and’re Themen wie Liebe, Treue und Vertrauen vertiefen kann und mir beschauen. Und am Ende der Affaire steht mir im Lebensbuch die Lehre: Unser aller Gegensätze sind in Wahrheit unsre Schätze. Wenn nur jeder sein Stärken einbringt, dann kann jeder merken, dass sich Gegensätze trügen, potentiell harmonisch fügen. Gegensätze können schwinden, Feindschaft kann man überwinden. So harmonisch klapp ich nu’ die Predigtmappe heute zu. Preiset Gott und sein Erbarmen, gelobt sei Jesus Christus. Amen