Kinderbücher, die sind ja
meistens sehr vorhersagbar,
präsentieren zu Beginn,
einen Held oder Heldin.
Er/sie ist zwar sehr sympathisch,
fröhlich, kess, im Grunde artig
aber hat, das wird man seh’n
meist ein schwereres Problem.
Denn ein größ’res Defizit,
einen Makel bringt sie mit:
Unsre Heldin ist zu klein,
schüchtern, traurig und allein,
oder sie ist, andersrum,
viel zu laut, zu stark, zu dumm,
oder kommt aus fernen Ländern,
von gesellschaftlichen Rändern,
manchmal aus dem Weltraum her,
der Vater war ein Zauberer,
wie’s auch sei, in jedem Fall
ist das Mädchen nicht normal.
Ausgegrenzt und heimatlos
sucht es einen Lebenstrost
und gibt dann im Lauf der Handlung
ihrem Leben eine Wandlung.
Denn meist schon ab Seite neun
trifft sie einen neuen Freund,
der durch Zufall alldieweil
gerade ist ihr Gegenteil.
War das Mädchen ziemlich klein,
wird der Freund ein Riese sein,
war das Mädchen traurig nur
ist der Freund ’ne Frohnatur.
War das Mädchen kess und schlau
ist dem Freund vor allem flau.
Beide woll’n beim Kennenlernen
sich am liebsten schnell entfernen.
Doch im Lauf der Handlung dann
freunden sie sich langsam an.
Und am Ende der Affaire
steht im Kinderbuch die Lehre:
Eurer aller Gegensätze
sind in Wahrheit eure Schätze.
Wenn nur jeder seine Stärken
einbringt, dann kann jeder merken,
dass sich Gegensätze trügen,
potentiell harmonisch fügen.
Es können sich am Schluss die beiden
sogar wirklich bestens leiden.
Gegensätze können schwinden,
Feindschaft kann man überwinden.
Sowas nennt man Dialektik,
ähnlich wie bei der Elektrik:
Für Strom und Spannung braucht man wohl
einen Plus- und Minuspol.
Doch weg nun vom Physikversuch,
zugeklappt das Kinderbuch,
wechseln wir das Medium,
schau’n zum Evangelium.
Dieses ist, so scheint es, auch
dialektisch angehaucht.
Ja, es treibt die Gegensätze
sogar nochmal auf die Spitze.
Dieser Text, den man ja kennt,
ist ein Denkexperiment:
Schaut auf das, was gerade kräftig
euch im Leben so beschäftigt,
wo es gerade knirscht und kracht,
was euch großen Ärger macht.
Wer in dieser Episode
ist dein größter Antipode?
Wer bringt dir dein Blut zum Wallen,
bei wem sich dir die Fäuste ballen?
Wer bewirkt am Rücken Schauer?
Auf wen bist du so richtig sauer?
Ein solcher Gegner ist gemeint,
man nennt ihn altertümlich „Feind“.
Das Verhältnis ist gewöhnlich
zu ihm ziemlich unversöhnlich.
Und jetzt, im Evangelium,
dreht sich die Dialektik um:
Du sollst den Feind nun nicht mehr hassen
sollst nicht mal ihn in Ruhe lassen,
nein, mehr noch, so steht es geschrieben:
Du sollst den Feind auf einmal lieben.
Und am Ende der Affäre
Steht wie im Kinderbuch die Lehre:
Eurer aller Gegensätze
Sind in Wahrheit eure Schätze.
Es können sich am Schluss die beiden
Sogar wirklich bestens leiden.
Gegensätze können schwinden
Feindschaft kann man überwinden,
und so weiter alles klar,
et cetera et cetera…
Solche Weisheit der Geschichten
kann man sich ja leicht erdichten.
Kindern kann man leicht empfehlen,
Harmonie und Glück zu wählen.
Doch mit Blick auf diese Welt
solche Hoffnung sich verfehlt.
Harmonie ist dort doch kaum
mehr als ein naiver Traum.
Wie säh’s aus, wenn das geschieht,
dass jeder seine Feinde liebt?
Dann lieben Saudis den Iran,
Jan Böhmermann liebt Erdogan
und Boris Johnson die EU,
Theresa May auch noch dazu?
Computerfirmen lieben Hacker
und Dagobert die Panzerknacker.
Die Trockenheit macht Bauern froh,
die CDU wählt Ramelow.
Kinder lieben Medizin
und Rostocker lieben Schwerin.
Dann liebt der rote Fuchs das Huhn
und Donald Trump liebt Kim Jong Un.
Die AfD trifft auf die Linken
bei einem netten Kaffeetrinken.
Im Showbusiness ist nun Bushido
auf einmal größter Fan von Sido.
Die Schalker lieben Dortmund, klar!
Hans Küng verehrt jetzt Ratzinger.
Dann liebt Frau Merkel Friedrich Merz,
das alles klingt doch wie ein Scherz,
ganz ehrlich: das geschieht doch nie,
der Bibeltext bleibt Utopie.
Und außerdem: Wer meint zu glauben
den Anspruch so heraufzuschrauben,
der irrt gewaltig, wie es scheint.
Die Bibel es nie wörtlich meint.
Die beste Art zu lesen ist,
liest man den Text als Realist.
Denn an der Wirklichkeit gemessen
wird ja niemals so heiß gegessen,
wie man zuvor gekocht hat. Dann
spricht mich der Text „symbolisch“ an.
Eigentlich möcht’ er mir sagen:
Die Menschen sollen sich vertragen,
denn wenn ein jeder gut es meint,
hat niemand mehr ’nen echten Feind.
In unserer friedliebenden Zeit
sind Feindbilder Vergangenheit.
Die heut noch and’re schmähen, lästern,
zum Feind erklär’n, die sind von gestern.
Wer heute führt noch Feindeslisten:
Scharfmacher sind’s und Revanchisten.
Vor solchem zänkischen Gebaren
soll uns unsre Vernunft bewahren.
Und diese Weisheit lasst mäandern:
Die Feindseligen, das sind die andern!
Wer jedoch so auf and’re schaut,
hat selbst ein Feindbild sich gebaut.
In Wirklichkeit, so die Tendenzen,
versucht man sich schnell abzugrenzen
und eine Krankheit unserer Zeit
ist die tiefe Zerstrittenheit
von Gruppen oder auch Parteien,
die sich der Meinungsmache zeihen,
die dreschen die stets gleichen Phrasen
in autonomen Meinungsblasen.
Die and’re Meinung braucht man nicht,
wer richtig denkt, bestimme ich.
Lass ich das andre gar nicht zu,
hab ich harmonisch meine Ruh.
Dann brauch ich Menschen nur begegnen,
die meine Ansicht stets bestät’gen.
Wer in die Meinungsblase zog,
braucht nie mehr einen Dialog.
Und über Menschen andrer Blasen,
rümpfen wir einfach un’sre Nasen.
Den and’ren wirklich zuzuhören
würde so manchen nur verstören.
„Liebt eure Feinde“, das hat Wucht,
ist mehr als ein Kalenderspruch.
Wer diesem Worte leiht sein Ohr,
der nimmt sich etwas Schweres vor.
Es wird ihm viele Kräfte binden,
sich erst einmal zu überwinden,
dem Feind, dem Quälgeist ohnegleichen
geschwisterlich die Hand zu reichen.
Denn Liebe, das meint manchmal neue
Anfänge wagen, das meint Reue,
Selbstdistanz, Vergebung, Mut
und, dass die Aufgeregtheit ruht.
Vielleicht heißt Liebe hier beizeiten,
sich mit dem Gegner so zu streiten,
dass man ihm nicht die Würde nimmt,
ihn nicht als erstes überstimmt.
Es heißt, ohne sich zu verbiegen,
ihn wieder ins Gespräch zu kriegen,
ihn in mein Denken einzubinden,
gemeinsam Lösungen zu finden
und statt einander anzuschreien,
sich hin und wieder zu verzeihen.
Dann werden für der Wahrheit Licht
die Grenzen langsam durchsichtig,
das über unserm Leben scheint,
die Weisheit Gottes ist gemeint.
Wenn er für uns Verständnis hat
dann steht uns an, an seiner statt
mit seiner Hilfe auf den andern
verständnisvoll auch zuzuwandern.
Im Kinderbuch, wie ich gemeint,
braucht es zur Heldin einen Freund,
der anders als sie selber ist,
bei dem sie ihre Angst vergisst
und ihre Schwäche nicht mehr zählt,
weil sie dem Freund auch so gefällt.
Die Freundschaft bereits ist enorm,
sie ist der Liebe erste Form.
So will das Evangelium mein
Freundschaftsbuch mit Jesus sein.
Er ist ein solcher Freund, der sich
so auf mich einlässt, dass ich mich
der eignen Schwäche nicht mehr schämen
sondern der Freundschaft and’re Themen
wie Liebe, Treue und Vertrauen
vertiefen kann und mir beschauen.
Und am Ende der Affaire
steht mir im Lebensbuch die Lehre:
Unser aller Gegensätze
sind in Wahrheit unsre Schätze.
Wenn nur jeder sein Stärken
einbringt, dann kann jeder merken,
dass sich Gegensätze trügen,
potentiell harmonisch fügen.
Gegensätze können schwinden,
Feindschaft kann man überwinden.
So harmonisch klapp ich nu’
die Predigtmappe heute zu.
Preiset Gott und sein Erbarmen,
gelobt sei Jesus Christus. Amen