Eine liberale Phase
Die Entwicklung nach dem II. Vatikanischen Konzil ist unübersichtlich. Das Konzil selbst hatte versucht, den identitären Katholizismus der Pius-Päpste zurückzuschneiden und sich der „Welt“ wieder stärker zu öffnen. Dabei hoffte man, ein Gleichgewicht der Kräfte zu erreichen. Paul VI. (1963-1978) hatte als neugewählter Papst während des Konzils versucht, bei den Abstimmungen zu den verschiedenen Dokumenten des Konzils möglichst Einstimmigkeit zu erreichen und ging dafür an einigen Stellen dezidiert auf Einwände der „Identitären“ unter den Bischöfen ein. Die Konzilstexte wiesen aber deutlich in Richtung einer liberalen Öffnung der Kirche, versuchten jedoch, den Markenkern des Katholischen, wie er für die vorangegangene Periode prägend gewesen war, zu behalten. So sicherte Paul VI. qua Intervention z.B. die Lehre vom Primat des Papstes, ließ auf der anderen Seite das umstrittenen Bekenntnis zur Religionsfreiheit zu. Am Ende des Konzils war eine gewisse Kompromisshaftigkeit zu sehen, von der man hoffte, dass die unterschiedlichen Strömungen der Kirche sich darauf einlassen konnten.
Ganz so kam es nicht. Während liberale Kräfte den gebremsten und inkonsequenten Fortschrittswillen des Konzils bemängelten, finden sich bis heute auf der anderen Seite Stimmen, die das II. Vaticanum zu einem Sieg der „Modernisten“ erklären und behaupten, das Erbe der Katholischen Kirche sei auf dem Konzil verraten worden.[1] Während diese „konservativen“ Stimmen eher randständig blieben, setzte sich in der Weiterführung des Konzils in vielen „westlichen“ Gebieten der Kirche eine liberale Tendenz durch. Dies lässt sich sicher für Deutschland, Österreich, die Schweiz, die Niederlande, Belgien, in Teilen auch Frankreich sagen. In Osteuropa oder den USA verlief die Konzilsrezeption ein wenig anders. Ich möchte mich hier auf Deutschland beschränken.
Im Anschluss an Hans Küng und andere Vertreter einer liberalen Theologie, sah man im Konzil lediglich den Auftakt für eine „fortschrittliche“ Runderneuerung der kirchlichen Lehre und Struktur. Das diese in der erhofften Form nicht kam, schrieb man dem „Konservatismus“ der Päpste und der Kurie zu.[2] Man hatte wahrscheinlich nicht sehen wollen, dass die im Westen weitgehend begrüßten liberalen Ideen der Kirchenreform weltweit so nicht geteilt wurden. Die Attitüde, dass man selbst die Speerspitze des Fortschritts sei und es unausweichlich für die Kirche wäre, den eigenen Ideen zu folgen, ist in einigen theologischen Beiträgen der 70er oder 80er Jahre sehr deutlich zu spüren. Wie auch immer, die liberale Lesart des Konzils hat sich in der Praxis der Kirche deutlich niedergeschlagen. Kernpunkte sind die folgenden:
- Demokratisierung: Nach dem Vorbild der demokratischen Gesellschaft sollte auch die Kirche zunehmend zu neuen Modellen der Machtverteilung führen. Dazu gehörten in einem ersten Schritt die Einrichtung von Gremien und anderen Beratungsorganen, die eine wirkliche Teilhabe an der Gestaltung der konkreten Kirche sicherstellen sollten. Weiterführend erhoffte man sich auch eine Demokratisierung in Lehrfragen und eine Ersetzung oder zumindest Ergänzung der bischöflichen Leitungsvollmacht. Auch die päpstliche Macht müsse durch ein demokratisches Element, etwa die stärkere Mitbeteiligung der Bischöfe kontrolliert werden.
- Emanzipation: Ein lauter Ruf nach einer Gleichberechtigung von Frauen in der Kirche und damit einer Anpassung kirchlicher Vorstellungen an gesellschaftliche Ziele von Geschlechterparität ist schon lange deutlich zu hören. Kernforderung ist hier die Öffnung des Weiheamtes für Frauen.
- Moral: Eine kirchlich vorgegebene Moral wird als Entmündigung des Individuums verstanden. Der Wille zur Reform in der Kirche müsse, so die Forderung, auch mit der Aufgabe bestimmter unmodern gewordener Positionen einher gehen. Die moderne Gesellschaft hat kritische Fragen nach Verhütung, Abtreibung oder den Umgang mit Nicht-Heterosexuellen weitgehend liberalisiert. Die Kirche müsse der Gesellschaft hier folgen.
- Kulturelle Sensibilität: Die Aufmerksamkeit für die Eigenständigkeit von Völkern und Kulturen müsse zu einer größeren Offenheit hinsichtlich Lehre, Praxis und Struktur der Kirche führen. Das Fortbestehen eines weltweit einheitlichen und gleichermaßen verbindlichen römischen und damit europäisch-dominanten Lehrsystems ist unzeitgemäß.
- Selbstrelativierung: Im Sinne des Dialogs mit anderen Konfessionen und Religionen müsse die Katholische Kirche ihren Wahrheitsanspruch noch deutlicher zurücknehmen. Im Sinne einer „gefühlten Einheit“ seien Grenzen zwischen den Konfessionen eigentlich unbedeutend geworden. Ebenso müsse man die Wahrheitsfrage mit Blick auf die verschiedenen Philosophien und Religionen zugunsten der Dialogfähigkeit zurückstellen. Das Christentum sei möglicherweise auch nur „eine“ von vielen Ausdrucksformen einer universalen Wahrheit.
Die nachkonziliaren Päpste Paul VI., Johannes Paul I., Johannes Paul II., Benedikt XVI., vor allem aber Franziskus waren bereit, den liberalen Strömungen an der einen oder anderen Stelle entgegenzukommen. Gleichzeitig boten sie auf der anderen Seite regelmäßig Anlass zur Empörung der liberalen Katholiken, wenn sie teilweise mit Vehemenz traditionelle Positionen verteidigten. In Deutschland sind z.B. der heftige Streit um die Enzyklika „Humanae vitae“ von Paul VI. in Erinnerung geblieben, in der der Papst gegen die künstliche Empfängnisverhütung zu Felde zog, das Quasi-Verbot bestimmter Richtungen der Befreiungstheologie durch Johannes Paul II., der angeordnete Ausstieg aus der staatlichen Schwangerenberatung in den 90er Jahren, das von Josef Ratzinger verfasste Schreiben „Dominus Jesus“ (2000), welches als Affront gegen die ökumenischen Bemühungen gewertet wurde, der Versuch der Wiedereingliederung der reaktionären Pius-Brüder durch Benedikt XVI., oder die Proteste von Papst Franziskus gegen den deutschen „Synodalen Weg“ in der jüngeren Vergangenheit. Man kann, anders als von „rechter“ Seite gerne behauptet, nicht sagen, dass die Päpste einseitig liberale Strömungen begünstigt hätten. In einigen Punkten allerdings sind sie sicher der im II. Vaticanum angelegten liberalen Linie gefolgt. Dies betrifft vor allem die Förderung kultureller Eigenheiten und Spiritualitäten innerhalb der Weltkirche, den ökumenischen und interreligiösen Dialog, die Aufweichung einiger moralischer Streitpunkte, z.B. beim Thema „Homosexualität“ und die Offenheit für mehr synodale Beratungen und Entscheidungen – einen Punkt, den Papst Franziskus zuletzt sehr stark gemacht hat. Immer wieder gab es aber auch identitäre „Offensiven“. Die Päpste warnten die Europäer, ihr christliches Erbe nicht zu vernachlässigen. Sie warnten vor überbordendem Kapitalismus und Subjektivismus. Papst Johannes Paul II. förderte in besonderer Weise die neuen geistlichen Gemeinschaften als Keimzellen einer christlichen Erneuerung in einer modernen Welt. Benedikt XVI. versuchte, den strengen römischen Stil in der Liturgie und Bibelübersetzung zu reaktivieren. Er rief, wie auch sein Nachfolger Franziskus, eindringlich zur Verstärkung der „Mission“, bzw. „Evangelisierung“ auf.
Mit Blick auf Deutschland, wie auch andere Westeuropäische Länder wird man sagen müssen, dass die nachkonziliare Geschichte für die Katholische Kirche insgesamt wenig erfolgreich gewesen ist, zumindest, wenn man die Statistik betrachtet. Die Zahl der Kirchenmitglieder ist zurückgegangen, noch stärker die Zahl derjenigen, die aktiv am kirchlichen Leben teilnehmen (Gottesdienstbesuch, Sakramente, Beerdigungen). Der Volkskatholizismus, also die gesellschaftliche Dominanz der katholischen Kirche in bestimmten Gebieten löst sich zunehmend auf. Die Zahl der Ordensberufungen und Priesterweihen sinkt beständig. Diese Entwicklung hat viele Ursachen. Es haben sich dazu allerdings zwei „Grundnarrative“, also Erklärungsversuche herausgebildet:
Die eher liberalen Kräfte sehen die Hauptursache für das zahlenmäßige Schrumpfen der Kirche im mangelnden Reformwillen. Die Kirche habe den Kontakt zur Gesellschaft zunehmend verspielt, weil sie nicht ausreichend in der Lage gewesen sei, anschlussfähig zu bleiben. Um „glaubhaft“ und damit wieder „attraktiv“ zu werden, müsse sich die Kirche vorherrschenden Moralvorstellungen gegenüber öffnen, die Gleichberechtigung der Geschlechter auch intern umsetzen, demokratisch werden und dogmatisch abrüsten. Man brauche eine neue „Sprache“ und neue „Formen“, um wieder an Boden zu gewinnen und die Abwanderung von Kirchenmitgliedern zu stoppen.
Dagegen steht das „konservative“ Narrativ: Die Kirche habe sich bereits zu sehr an den Zeitgeist angebiedert und sei damit profillos geworden. Statt die interne Disziplin und die tradierte Lehre zu fördern, sei man im Kern relativistisch geworden. Zudem verhalte sich die Kirche zunehmend eher wie eine politische Organisation und vernachlässige die Glaubenslehre. Die Zahl glaubensstarker und damit auch missionarisch wirkender Christen sei in der Folge einer zu seichten und weltlichen Glaubensverkündigung und -praxis notwendigerweise zurückgegangen. Stärke könne die katholische Kirche daher nur durch einen identitären Kurs zurückgewinnen, wie er für die pianische Epoche kennzeichnend gewesen ist. [3]
Die Kräfte verschieben sich
Im Januar 2020 begann in Frankfurt der „Synodale Weg“. Dieses von den deutschen Bischöfen und dem Zentralkomitee der Deutschen Katholiken (ZdK) verantwortete mehrjährige angelegte Format wollte die katholische Kirche nach der Erschütterung durch die Missbrauchsskandale auf einen zukunftsweisenden Weg führen. Durch kirchliche Reformen hoffte man, eine wirkliche Erneuerung erwirken zu können. Die Erwartungen waren hoch. Am Beginn der Versammlung standen Glaubenszeugnisse verschiedener Beteiligter, in denen Wünsche und Befürchtungen für die kommenden Beratungen geäußert wurden. Die Gemeindereferentin Michaela Labudda etwa formulierte:
„Engagiert in der Kirche bin ich gerade deshalb, weil dort so vieles davon ermöglicht wurde und immer noch wird. Aber vor allem bin ich in dieser Kirche trotzdem. Trotz … der vielen Menschen, die ich erlebe, denen meist die Moralvorstellungen der kirchlichen Verkündigung ein zwanghaftes Gefängnis erbauten. Trotz … einer verkündeten lehramtlichen Meinung, die viel zu oft im Widerspruch zu dem steht, was mich unsere freiheitliche Demokratie lehrt. Trotz … der Erfahrung, dass ich als engagierte Christin in der Kirche systemisch keine andere Chance habe, als mit dem Kopf immer wieder vor jene dicke Glaswand zu laufen, die aus Gendergründen vor jede Frau als reale, aber vor allem auch intellektuell beleidigende Voraussetzung des kirchlichen Engagements gesetzt ist. Und trotz der schmerzlichen Erkenntnis, durch meine Mitarbeit ein System zu unterstützen, das so viele Menschen zu Opfern hat werden lassen und dieses immer noch tut. Trotzdem. Trotzig. Wo nötig, einer falschen „Wahrheit“ trotzen … Das ist ein Wortstamm, passt es nicht auch? Ich denke, es ist womöglich eine sehr katholische Eigenschaft. In diesem Sinne „trotzend“ stehen wir heute hier.“[4]
Wie die Diskussionen der Synodalversammlungen zeigten, hatte Labudda hier Erwartungen ausgesprochen, die ein sehr großer Teil der Beteiligten teilte. Es ging um die Runderneuerung einer für viele in Teilen „schrecklichen“ oder „schrecklich gewordenen“ Kirche. Die „Trotz“-Worte des Statements umschrieben eine klare liberale Agenda: Liberalisierung der kirchlichen Morallehre, die demokratische Gesellschaftsordnung als Leitbild kirchlicher Struktur und Lehre, Gleichberechtigung der Geschlechter und neue Offenheit für die „Gender“-Theorie, Relativierung behaupteter Wahrheiten.
Die Synodalversammlung einschließlich zahlreicher Bischöfe unterstützte die artikulierten Reformbemühungen. In den Texten des Synodalen Weges wurden weitgehende Beschlüsse und Forderungen formuliert. Ein bedeutender Schritt war dabei die Liberalisierung des kirchlichen Arbeitsrechtes, das in der Folge durch die Ortsbischöfe für alle Diözesen in Kraft gesetzt wurde. Im Kern ging es darum, die persönliche Lebens- und Glaubenssituation der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter dem Dach der Kirche von der Frage ihres Einsatzes und Arbeitsauftrages zu trennen. Mit anderen Worten: Es wird bis auf ganz wenige Ausnahmen darauf verzichtet, von Mitarbeitern ein im kirchlichen Sinne „vorbildliches“ Lebenszeugnis zu erwarten. Dies betrifft unter anderem Geschiedene oder auch Nicht-Heterosexuelle. Man erfand den Begriff der „institutionellen Katholizität“, was bedeutet, das nicht der Glaube der einzelnen Beschäftigten, sondern im Grunde das „Leitbild“ einer Einrichtung darüber entscheidet, ob diese katholisch ist oder nicht.[5] Ein anderes weitreichendes Dokument des „Synodalen Wegs“ beschäftigte sich mit der Sexualmoral. Hier wurde de facto eine Anpassung an die gesellschaftlich (mutmaßlich) akzeptierten Grundansätze der „Identitätspolitik“ gefordert. Das Dokument scheiterte in der Schlussabstimmung ganz knapp an der notwendigen Zweidrittelmehrheit der Bischöfe.[6]
Auch wenn nicht alle Reformvorhaben umgesetzt werden konnten, darf man im Synodalen Weg sicher ein „Hochamt des kirchlichen Liberalismus“ sehen. Dass der zukünftige Weg der Kirche ein liberal-fortschrittlicher sein müsse, war die feste Überzeugung der großen Mehrheit der Delegierten. Die wenigen Gegenstimmen fühlten sich bald auf verlorenem Posten. Einige von ihnen stiegen aus und verließen die Synodalversammlung. Meine subjektive Wahrnehmung allerdings war: Der große Beifall zum Synodalen Weg blieb aus. Das war schon einmal anders. Als in den späten 60er und den 70er Jahren ähnlich gelagerte Diskussionen auf dem Essener Katholikentag oder vor der Würzburger Synode geführt wurden, waren diese von elektrisierender Wirkung und entfachten in der katholischen Kirche einen Sturm der Zustimmung, besonders unter jungen Leuten. Die Reform der Katholischen Kirche war ein wichtiges Thema der Presse und interessierten Öffentlichkeit. Ähnliche Effekte blieben nun aus. Wenn ich andere Pfarrer fragte, ob der Synodale Weg in ihren Gemeinden beobachtet und diskutiert werde, schüttelten diese meist den Kopf. „Der Synodale Weg interessiert bei uns kaum jemanden“ – so war die häufigste Antwort. Selbst in den diözesanen Gremien konnten die Berichte aus Frankfurt keine hitzigen Diskussionen entfachen. Woran lag das? Sicher gab es einige, die mit einer „Da ändert sich sowieso nichts“-Haltung auf das Geschehen schauten. Zum anderen hatte ich das Gefühl, dass viele Menschen in den Pfarreien mit anderen Themen beschäftigt waren, sich eher Sorgen um die Zukunft ihrer Gemeinde machten und kein Ohr für akademische Debatten über kirchliche Grundsatzfragen hatten. Obwohl sicher viele der Gemeindemitglieder zentrale Forderungen des Synodalen Wegs inhaltlich unterstützten, gab es aber auch deutlichen Gegenwind. Ich habe häufiger gehört, die Kirche solle sich dem „links-grünen Mainstream“ nicht dermaßen anbiedern. Papst Franziskus ließ sich in diesem Zusammenhang mit der flapsigen Aussage zitieren, dass man schon eine protestantische Kirche habe und keine weitere brauche.[7] Der Papst sagte das mit Blick auf eine evangelische Kirche, die in fast allen Themen des Synodalen Weges längst einen liberalen Reformprozess durchlaufen hat. Das Wort des Papstes traf, so würde ich sagen, auf ebenso viel Kritik wie Zustimmung.
Ich selbst habe mich über das sehr müde Interesse am Synodalen Weg damals etwas gewundert. Meine Erklärung heute ist: Im Nachhinein zeigte sich in der Reaktion auf den Synodalen Weg bereits die gesellschaftliche Veränderung in den herrschenden Diskursen. Der liberale Diskurs war und ist bei weitem nicht mehr so beherrschend, wie man vermutete. Dass Fortschritt Liberalisierung bedeutet, wird von weniger Menschen geteilt als noch in vergangenen Jahrzehnten. Wie in der Gesellschaft auch, hat sich offensichtlich längst eine Unterströmung gebildet, die den Fluss liberaler Fortschrittsideen hemmt. Zu Anfang dieses Textes habe ich dies unter dem Stichwort „Kulturkampf“ darzustellen versucht. Man wird sagen können, dass es eine beträchtliche tendenziell steigende Zahl von Menschen gibt, die identitätspolitische Themen in Frage stellen. Für sie ist die Aufweichung der traditionellen Familie, das Gender-Mainstreaming, die Infragestellung überkommener moralischer Werte, die weitere Ausdifferenzierung und Regelung der Gesellschaft, die behauptete Gleichheit aller Religionen und Weltanschauungen eben nicht der Gipfel und Zielpunkt des Fortschritts. Die „identitäre“ Position sieht den Fortschritt im Gegenteil eher in der Herstellung verbindlicher gemeinschaftsstiftender Grundlagen, in straffen Strukturen und einer Wiederentdeckung dessen, was früher einmal als „normal“ galt.
Der Synodale Weg repräsentiert demgegenüber das genaue Gegenteil. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem überzeugten ZdK-Mitglied, Teilnehmer der Synodalversammlung, der inhaltlich sehr viele der geäußerten Forderungen mittrug. Er sah sich allerdings von der Wucht, mit der diese Forderungen artikuliert wurden, überrollt. Die Diskussionen seien doch sehr einseitig gewesen, sagte er, Gegenargumente wären nicht ernst genommen worden. Dieser Stil habe ihn doch nachdenklich gemacht. Es ist der Stil, mit dem von rechter wie linker Seite versucht wird, die Hoheit über den Diskurs an sich zu reißen, nicht mehr der Stil einer gelassenen Demokratie, die sich um den Ausgleich der Kräfte bemüht. Zudem gehen viele Vorschläge des Synodalen Wegs in die Richtung einer weiteren Bürokratisierung der Kirche. In einer an Gremien wahrhaft nicht armen Institution wird die Einrichtung von noch mehr Gremien und Beratungen gefordert. Für eine ohnehin schrumpfende Kirche würde dies bedeuten, noch mehr der ohnehin knappen Ressourcen an Mitwirkenden und an Zeit in interne Prozesse zu stecken. Wie daraus eine neue Dynamik entstehen soll, bleibt offen.
Im Denken eines Peter Thiel liegt das Erfolgsrezept in einer schmalen, straffen Führung eines Unternehmens, in einem Abbau von Zwischeninstanzen, in einer gezielten Suche nach Marktlücken, einer gemeinsam geteilten Vision und einer Unternehmensdynamik, die alles daran setzt, zu wachsen, um Marktführer zu werden, ohne Rücksicht darauf, ob der Weg kurzfristig Verluste bringt. Wer die Kirche in einem solchen „Mindset“ betrachtet, der wird ein anderes Bild für das bekommen, was wir „kirchliche Reformen“ nennen. Ich glaube, das dieses Bild längst auch kirchlich Verbreitung findet.
[1] Z.B. Roberto di Mattei, Das Zweite Vatikanische Konzil, Ruprichteroth 2011.
[2] So am prominentesten Hans Küng in seinem Vorwort zu „Unfehlbar?“ von 1970.
[3] Vgl. hierzu z.B. Martin Mosebach, „Er ist ja nur der Papst“ in: Der Ultramontane, Hamburg, 2022, 108-118.
[4] Synodalversammlung-Glaubenszeugnis-Eroeffnungssequenz_Michaela-Labudda.pdf
[5] Apostolat und Vorschrift – Die Katholische Kirche reformiert ihr Arbeitsrecht – Sensus fidei
[6] Woher die Ablehnung? – Zum Grundlagenpapier des Synodalen Wegs zur Sexualmoral – Sensus fidei
[7] Franziskus äußert Sorge über Synodalen Weg in Deutschland – Vatican News