Himmlisch [zu Christi Himmelfahrt]

Ich weiß nicht, ob das Wort „himmlisch“ noch zu Ihrem Wortschatz gehört. Wenn ja, würde ich Sie gerne fragen, ob Sie sich erinnern können, bei welcher Gelegenheit Sie das Wort zuletzt verwendet haben. „Es war himmlisch!“ oder auch „Das ist ja himmlisch hier!“ – das sind Sätze, die zum Beispiel im Urlaub fallen, etwa, wenn Sie an einen wunderschönen Ort kommen, auf eine Landschaft schauen. Diese Sätze können fallen an einem sonnigen Tag im Garten, wie jetzt im Frühling, wenn man bei einem Stück Kuchen unter einem blühenden Obstbaum sitzt. Einige würden es nach einem Konzert sagen, in dem die Musik sie in besonderer Weise berührt oder erfüllt hat, oder auch nach einem hervorragenden Essen, wenn man sich satt und glücklich im Stuhl zurücklehnt. Das Wort „himmlisch“ bezeichnet dabei aber nicht eine bestimmte Sache, also die Landschaft, den Garten, die Musik oder das gute Essen. Es bezeichnet vielmehr einen Gesamteindruck, einen Zustand ein Gefühl. „Himmlisch“ ist es im Urlaub etwa deswegen, weil die Schönheit der Landschaft zusammenkommt mit dem Gefühl der Entspannung und Sorglosigkeit der freien Zeit. Und es hat zu tun mit den Menschen, mit denen ich in diesem Moment unterwegs bin, die Vertrautheit und Gemeinschaft, das Glück zusammen an diesem Ort zu sein. Für den Moment passt einfach alles zusammen. Dieser Moment ist himmlisch. Es gibt in diesem Augenblick keine Sorgen, keine Pflichten, keine Konflikte. „Himmlisch“, das ist dort, wo die Seele sich ausstreckt und frei wird.

Der Himmel ist für die Menschen aller Generationen nie bloß ein astronomisches Etwas gewesen, ein blaue Kuppel, die alles überwölbt, eine Schale, an der die Gestirne befestigt sind, ein unendliches All, das bei fehlendem Sonnenlicht den Blick auf seine Weite freigibt. Der Himmel ist für den Menschen immer auch ein innerer Zustand, ein erlöstes Dasein, eine große Harmonie, nach der man sich aus der Erfahrung der Unbeständigkeit und Bewegtheit der Welt und des Lebens sehnt.

Der chinesische Kaiser Yongle ließ Anfang des 15. Jahrhunderts eine Stadt errichten, die er als Himmelsstadt geplant hatte. Seinen kaiserlichen Auftrag verstand er als „Tianming“, als Mandat des Himmels. Der Kaiser sollte das Bindeglied zwischen Himmel und Erde sein und somit Garant für die himmlische Harmonie, die auch auf der Erde wirksam und sichtbar werden würde, den Ausgleich der Kräfte, das Wohlbefinden der Bürger und nicht zuletzt der Friede über das Reich, das er beherrschte. Die Stadt war symmetrisch gebaut und zeigte in ihren vier Seiten das Abbild der Jahreszeiten. In der Mitte stand der Kaiserpalast in Purpurrot. Dies galt als Farbe des Polarsterns, des einzig von der Erde aus gesehen unbeweglichen Sterns am Himmelszelt. Hier war so etwas wie ein kosmischer Anker geworfen worden, von dem her sich das Weltganze ordnete. Der innere Kern der Himmelsstadt war die „Verbotene Stadt“. Sie war deshalb unzugänglich, weil die innere Harmonie nicht gestört werden durfte. Denn rund um den Kaiserpalast war alles Ordnung, alles Gleichklang, alles Ritual. Es sollte keine Zufälligkeiten geben, keine Spuren von Chaos, nichts Unvorhergesehenes. Alles lief nach festen Ordnungen und verkörperte so eine Spur von Ewigkeit. Das heute Touristen die Verbotene Stadt besuchen, wäre noch vor 100 Jahren ein unsagbarer Frevel gewesen, eine unverzeihliche Störung der Harmonie und damit des Himmels selbst.[1]   

Auch unsere christliche Tradition kennt diese Vorstellung vom Himmel. Wenn Sie auf Gemälde schauen, die die himmlische Herrlichkeit abbilden, sehen Sie dort Ordnung, Licht, Frieden, Gebet, Musik, Liturgie. Auch der Kirchbau des Mittelalters folgte genau diesen Vorstellungen. Die gotische Kathedrale war ein Bild der himmlischen Stadt Jerusalem, die von oben auf die Erde geschwebt ist. Hier ist Raum des Heiligen, der Musik, der Stille, des Lichtes, das sich in all seinen Farben durch die bunten Fenster in den Raum ergießt. Der Bau selbst ist Harmonie und Symmetrie. Und dennoch ist der christliche Himmel mehr als bloße Harmonie.

Man würde die Himmelfahrt Christi falsch verstehen, wenn man in ihr nur ein Zurückkehren Jesu in die Harmonie des Himmels sehen würde, also einen Moment, in dem die Trennung von Himmel und irdischem Leben vollzogen würde. Papst Leo der Große macht dies in einer Predigt deutlich. Er verdeutlicht, dass Jesus als irdischer Mensch die Wirklichkeit des Himmels in seinen Zeichen und Reden bereits auf die Erde gebracht hat. Über den Himmelfahrtstag sagt Leo dann:

„Heute begehen und feiern wir mit Recht den Tag, an dem Christus unsere niedrige Natur über alle himmlischen Heerscharen, über alle Chöre der Engel und all ihre erhabenen Mächte auf den Thron seines Vaters emporhob.“[2]

Das hört sich in Leos Sprache für uns etwas kompliziert an. Gemeint aber ist: Der Himmel, an den wir glauben, ist keine geschlossene Gesellschaft Gottes und der Engel. Er ist kein Gegenüber zur Erde. Vielmehr bringt Christus in der Himmelfahrt unser ganz irdisches Dasein in den Himmel ein. Damit sind unsere ganz eigenen menschlichen Nöte, Leiden, Anliegen, Freuden, unser Leben und Sein gemeint. Die Sphären von Himmel und Erde durchdringen sich. Die himmlische Harmonie ist nicht abgeschlossen, sondern bleibt bis zur Vollendung offen für das, was mich persönlich bewegt und ausmacht, für meine Geschichte. Mein Leben hat bei Gott einen Platz.

Und umgekehrt ist der Himmel auch irdisch bereits zu erfahren. Dies meint nicht nur die Situationen, die wir als „himmlisch“ beschreiben würden. Dies meint vor allem, dass in der Verbindung mit Gott ein Zustand geschaffen ist, in dem meine Seele zur Ruhe kommt, in dem ich seine Gegenwart als heilend und tröstend erfahren darf. Und wie für die Menschen aller Zeiten, ist dieses Zusammentreffen von Gott und Mensch Ritus, eingebettet in Zeichen und Worte, in Musik und Abläufe, die sich gleich bleiben, in den Sakramenten, die ein besonderer Begegnungsort zwischen Gott und Mensch sind. Diese Riten sind allerdings nicht starr, sondern sie wollen erfüllt sein vom irdischen Leben, von meinen persönlichen Anliegen, meinem eigenen Glauben und Hoffen, meinen Nöten und meinen Freuden.

Das Wort „himmlisch“ erweitert sich in seiner Bedeutung. Es heißt mehr als die Erfahrung einer großen Harmonie. Es verweist im Kern auf eine Erfahrung des Daseins Gottes, auf einen Himmel, in dem Platz für mich ist.

Beitragsbild: Steilküste bei Lagos (Portugal)


[1] S. hierzu Reimer Gronemyer, „Himmel, der“, München 2012, 74ff.

[2] Leo der Große, Homilie zum Himmelfahrtstag (Sermo LXXIV), in: Leo, Sämtliche Sermonen, Bd II, München 1927, 207-2012, 208.

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