Einheit in Liebe

Eine kurze Ortsbestimmung zum Evangelium des 7. Ostersonntags (Joh 17,20-26). Wir befinden uns im Abendmahlssaal. Johannes gibt eine lange Rede Jesu an seine Jünger wieder. Es ist seine Abschiedsrede mit all dem, was er den Jüngern für die Zeit nach seinem Tod mit auf den Weg geben möchte. Er hat vom Weg zum Vater gesprochen, auf dem die Jünger ihm folgen sollen. Er hat das Bild vom Weinstock gebraucht, um ihnen die bleibende Verbindung zwischen ihm und dem Vater und zwischen ihm und den Jüngern zu verdeutlichen. Er hat das Gebot der gegenseitigen Liebe als oberstes Gebot eingeführt und sie auf die Zeit der Prüfungen vorbereitet. Er spricht von der Sendung des Geistes, in dem sie seinen Auftrag weiterführen sollen. Und nun, zum Ende, wird alles das in einem großen Gebet zusammengeführt. Der Anfang dieses Gebetes ist der Text des heutigen Evangeliums. Es beginnt mit der Bitte um Einheit. Einheit zwischen Vater und Sohn, Einheit zwischen Jesus und den Jüngern und Einheit der Jünger untereinander. Das klingt erstrebenswert und wünschenswert bis heute.

Eigentlich erstaunlich. Es mag sein, dass das Wort „Einheit“ eine Anziehungskraft hat und das in einer Zeit, in der statt der Einheit die Vielfalt gepriesen wird – andauernd. Das Glück des Einzelnen wird gepriesen, die individuelle Förderung und Entwicklung, die Selbstverwirklichung und die plurale und multioptionale Gesellschaft. Folgt man politischen Debatten gutmeinender Leute ist doch die oberste Maxime, den einzelnen bei seiner persönlichen Entfaltung so wenig wie möglich zu behindern, verschiedenste Lebensentwürfe, Herkünfte und Denkweisen zu fördern. Mit Vehemenz wehrt man sich dagegen, Menschen in ein bestimmtes Konzept einzufügen, ihren Lebensweg regulativ zu beeinflussen, Kreativität und persönliche Ansichten zu unterbinden, sie etwa an ein bestimmtes Glaubens- oder Wertegerüst zu binden. Da es gesellschaftlich allerdings schwierig ist, so ganz ohne Gemeinwesen auszukommen, geht es darum, möglichst viele dieser Monaden unter einer immer dünner werdenden Decke gesellschaftlicher Verpflichtungen zu integrieren. In aller Hilflosigkeit spricht man dann von einer Einheit in der Vielfalt. Wie sieht dagegen die Einheit aus, von der Jesus spricht?

Ich habe mich erinnert an ein Interview mit Klaus Maria Brandauer. Er sprach über seinen Film „Die Auslöschung“ von 2013, einer Liebesgeschichte zwischen einer jüngeren Frau und einem alternden Professor, der im Laufe des Films an Demenz erkrankt. Während des Gespräches bemerkte Brandauer, dass es sich hierbei nicht um einen Film über die Krankheit, sondern über die Liebe handele. Daraufhin stellte ihm der Reporter die folgende Frage:

„Es gibt ja die Theorie, der ziemlich viele Leute nachhängen, dass es eigentlich keine selbstlose Liebe gibt, dass man liebt, weil man sich in den Anderen positiv spiegelt. Nun kann man sich in einem Menschen, der einen selbst vergisst, der sich selbst vergisst, der alles vergisst, nicht mehr positiv spiegeln. Ist dann eine wirkliche Liebe noch möglich?“

Brandauer antwortete auf diese Frage nach der individualistischen Lesart von Liebe:

„Wieso können Sie sich nicht positiv spiegeln? Ich glaube das schon. Aber – etwas zur Liebe. Das wird sehr schnell gebraucht: Ich liebe dich, ich liebe Pudding und liebe auch Fußball. Also Liebe heißt im Klartext, für einen anderen Menschen auf der Welt sein. Ich sage nicht, dass das ein wünschenswerter Zustand ist. Aber Liebe ist das ja, was wir meinen unter Liebe, im Allgemeinen nicht. Sondern das ist ja eher ein – die Amerikaner, ich habe das heute schon mal gesagt – würden sagen im Englischen: Das ist ein Deal. Also, man lässt sich aufeinander ein. Machst du das, was ich nicht will, dann mach ich das – und das sind sicher nicht die schlechtesten Verbindungen, das sind nicht die schlechtesten Ehen. Aber wirkliche Liebe ist das, was eigentlich sich… .Bewahrheiten muss sich eine Liebe nicht. Die muss sich auch nicht beweisen, sondern die muss es sein. Das muss da sein.“

Wenn Jesus von der Einheit spricht, spricht er von einer Einheit, die sich aus einem solchen inneren Verstehen in Liebe aufbaut, von dem „Bleiben in der Liebe“, wie er es kurz zuvor gesagt hat. Es geht um eine Liebe, die mit einem Fremdwort gesagt „perichoretisch“ ist, eine gegenseitige Durchdringung voraussetzt, wie es das Bild vom Weinstock und den Reben ausdrückt. Es geht um das selbstverständliche Mitgehen, Mitdenken, Mitfühlen, Mitleiden, das Vater und Sohn, Jesus und seine Jünger miteinander verbindet; um eine Liebe die einfach da ist und bleibt, auch wenn sie für den Einzelnen im Moment keinen Vorteil bringt, ihn nicht bereichert oder verwirklicht. Eine Liebe, die bleibt und nicht geht, wenn es ihr zuviel ist. So wie Gott in seiner Dreiheit inneres perichoretisches, also durchdringendes Sein ist, bei dem eine Person von der anderen inhaltlich nicht unterschieden werden kann, so soll auch das Verhältnis Jesu zu seinen Jüngern sein, ein inneres Verstehen und Mitgehen, sogar über den Tod hinaus. Jesus verheißt ihnen seinen weitergehenden Beistand. So wie sie in ihm bleiben, bleibt er in ihnen. Das Christentum ist im Grunde dieses Mitgehen, Mitlernen, Mitverstehen, Mitfühlen und Mitleiden mit Jesus, wie er auch das Gleiche mit uns tut. Hieraus entsteht wahre Einheit, die die Individualität nicht auslöscht, sondern öffnet. Einheit, die nicht ein Deal ist zur gegenseitigen Vorteilsgewinnung, sondern, die einfach da ist. Ich in dir und du in mir – wie es ein altes Gebetswort sagt.

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