Was ist die Position der katholischen Kirche zur Corona-Impfung?

Die kommende Advents- und Weihnachtszeit stellt die christlichen Gemeinden wieder vor neue Zerreißproben. Im letzten Jahr stand die Frage im Vordergrund, unter welchen Sicherheitsbedingungen Weihnachtsgottesdienste gefeiert werden können. Die Pfarreien bewiesen in weiten Teilen Improvisationsfähigkeit und versuchten in der Regel nach Kräften, den Besuch eines Weihnachtsgottesdienstes zu ermöglichen. Dies wird in diesem Jahr ähnlich sein. Allerdings ist eine neue Frage hinzugekommen. Im Dezember 2020 begann die nationale Impfkampagne, durch die sich Staat und Gesellschaft eine Verbesserung der Infektionslage erhofften. Die Entwicklung im Sommer und Herbst gaben dieser Hoffnung zunächst recht. Die Zahlen waren niedrig, weite Teile des öffentlichen und des kirchlichen Lebens wurden wieder geöffnet, teilweise mit nur noch geringen Einschränkungen. In diesen Wochen nun meldet sich die Corona-Krise mit aller Wucht wieder zurück. Die Infektionszahlen schnellen in die Höhe, die Krankenhäuser füllen sich und haben in einigen Landesteilen die Belastungsgrenze erreicht. Zunehmend betroffen sind auch geimpfte Personen. Trotzdem gilt die Impfung nach wie vor als wichtiges Mittel, um die Zahl der Infektionen zu senken und die Gefahr schwerer Verläufe zu minimieren. Um allgemeine Lockdowns zu verhindern, bedienen sich die Bundes- und Landesregierungen zunehmend der G3-, G2- oder G2+-Regelung. Bestimmte Veranstaltungen und Besuche in Restaurants, Clubs oder auch Geschäften werden nur noch denjenigen gestattet, die eine Impfung, Genesung und/oder Testung vorweisen können. Diese Maßnahmen gelten der Risikominimierung und einer höheren Sicherheit.[1] Sie sind aber zugleich umstritten.

Aus den Reihen der Impfgegner und Impfskeptiker gibt es lauten Protest. Regelmäßig finde ich in unserem in der Kirche ausliegenden Fürbittbuch wütende Einlassungen gegen das Impfen und vor allem gegen die empfundene Ausgrenzung der Nichtgeimpften, die hier in ihren Rechten beschnitten würden. Es ist rechtlich umstritten, inwiefern das Grundrecht auf freie Religionsausübung durch staatliche Regelungen, etwa die Verpflichtung zu „3G“ bei Gottesdiensten beeinträchtigt werden darf. Die meisten Regierungen scheuen daher vor dieser oder ähnlichen Verordnungen zurück. Da die Pandemie allerdings gezeigt hat, dass aus Gründen des Gesundheitsschutzes Grundrechte auf entsprechender gesetzlicher Grundlage zeitweilig eingeschränkt werden können, ist es mit Blick auf die nächsten Wochen nicht auszuschließen, dass von der bisherigen Linie abgewichen wird.

Die Unterscheidung von Nichtgeimpften und Geimpften bringt Spaltungen hervor. Während sich Nichtgeimpfte beschweren, schütteln Geimpfte über dieses Verhalten nur den Kopf. Wie kann es sein, dass Menschen sich der Impfung verweigern, wo doch ausreichend Impfstoff zur Verfügung steht? Wie kann es sein, dass diese Menschen sich unnötig in Gefahr bringen? Es ist falsch, alle Nichtgeimpften über einen Kamm zu scheren. Neben denen, die nicht geimpft werden können, gibt es ein sehr breites Spektrum von Meinungen und Ansichten. Auch in bestimmten katholischen Kreisen macht sich eine religiös und ethisch begründete Impfskepsis breit, die sich häufig mit anderen Argumenten zur Ablehnung von Impfungen verbündet. Ein prominenter Fall ist der des bei Papst Franziskus in Ungnade gefallene Kardinal Raymond Burke, der als Sprachrohr traditionalistischer Kreise in der katholischen Kirche gilt. Dieser äußerte sich im Mai 2020 zum Impfen und nannte zwei grundlegende Bedenken: Zum einen wandte er sich mit deutlichen Worten gegen eine Impfpflicht, die den Bürgern nicht „auf totalitäre Weise“ auferlegt werden dürfe. Zum zweiten wandte er sich gegen die Herstellung von Impfstoffen aus Zelllinien abgetriebener Föten. Darüber hinaus äußerte er die Befürchtung, dass Versuche unternommen werden könnten, mit dem Impfstoffen auch Mikrochips zu Überwachungszwecken zu indizieren.[2] Während die dritte Bemerkung zum Kanon der Verschwörungstheorien zu rechnen ist und ich mir Kommentare dazu erspare, spielten die ersten beiden Argumente in der weiteren Diskussion durchaus eine Rolle. Kardinal Burke erkrankte im Spätsommer dieses Jahres selbst schwer an einer Covid 19-Infektion. In einem Brief von Anfang September berichtete er von den schweren Folgen seiner Erkrankung, allerdings, ohne seine Adressaten zu einem vorsichtigen Umgang oder zum Impfen aufzufordern.[3]

Der eben geschilderte Fall ist sicherlich eine Ausnahmeerscheinung, steht allerdings durchaus für einen Teil der kirchlichen Debatte. Wie steht also die katholische Kirche zum Thema „Impfen“? Im Grunde stehen bei dieser Frage zwei Grundsätze der kirchlichen Morallehre im Mittelpunkt, wie sie insbesondere in der Konstitution „Gaudium et spes“ (GS) im II. Vatikanischen Konzil dargelegt wurden. Der erste Grundsatz ist der der menschlichen Freiheit (GS 16 und 17). Menschen müssen das Recht haben, wichtige Entscheidungen ihrem Gewissen folgend zu treffen. GS 17 sagt: „Die Würde des Menschen verlangt daher, dass er in bewusster und freier Wahl handle, das heißt personal, von innen her bewegt und geführt und nicht unter blindem Drang oder unter bloß äußerem Zwang.“ Daraus ergibt sich abgeleitet, dass auch in medizinischen Fragen etwa „welchen Eingriff in meinen Körper möchte ich und welchen nicht“ ein volles Selbstbestimmungsrecht gilt. Das andere Prinzip ist das des Gemeinwohls (GS 26). Es besagt unter anderem, dass das gesellschaftliche Handeln darauf abzielen muss, alle Menschen in den Stand zu versetzen, ihre persönlichen Rechte und Freiheiten ausüben zu können.

Im Fall der Pandemie muss eine Abwägung zwischen diesen beiden Rechten getroffen werden. Im Sinne des Gemeinwohls kann es durchaus sinnvoll sein, einige in ihren Freiheitsrechten zu beschränken. Wenn die Impfung das Mittel zu einer effektiven Eindämmung schwerer Krankheitsverläufe ist und zudem ermöglicht, dass möglichst bald alle Menschen wieder zur vollen Entfaltung ihrer beruflichen Tätigkeit oder zum uneingeschränkten Besuch der Bildungseinrichtungen können; wenn zudem der volkswirtschaftliche Schaden mit seinen negativen Spätfolgen gemindert wird und die verdeckten Schädigungen der Menschen durch Isolation und psychische Erkrankungen abnehmen, ist die Impfung im Sinne des Gemeinwohls geboten. Gleichzeitig ist eine Impfung gegen das eigene Gewissen (also aus tiefer persönlicher und gut begründeter Überzeugung) ein Eingriff in die Freiheitsrechte. Da nach katholischer Morallehre eine Tat nicht allein schon deswegen sittlich gut ist, weil sie einer in sich guten Absicht folgt oder aufgrund der Begleitumstände zwangsläufig erscheint, kann eine allgemeine Impfflicht aus diesem Grund moralisch nicht gutgeheißen werden.[4]

Soweit die reine Lehre. Der Vatikan ist ihr auch gefolgt. In den offiziellen Verlautbarungen zum Thema „Impfen“ erfolgt genau diese Abwägung. Auf der einen Seite vertritt Rom die Freiheitsrechte, wendet sich gegen Beschränkungen der Religionsausübung[5] und gegen eine Impfpflicht.[6] Auf der anderen Seite hat sich Papst Franziskus in Ansprachen und Interviews vehement für die Impfung eingesetzt. Der Papst sagte etwa im Januar 2021: „Ich glaube, dass sich aus ethischen Gründen alle impfen lassen sollten. Das ist keine Option, das ist eine ethische Handlung. Denn du setzt deine Gesundheit, dein Leben aufs Spiel, aber du setzt auch das Leben der anderen aufs Spiel.“ Die Abwägung zwischen Freiheitsrechten und Gemeinwohl wird hier zugunsten des Gemeinwohls klar entschieden. Die Glaubenskongregation hält im Dezember 2020 fest: „Aus ethischer Sicht hängt die Sittlichkeit der Impfung jedenfalls nicht nur von der Pflicht zur Bewahrung der eigenen Gesundheit ab, sondern auch von der Pflicht, das Gemeinwohl zu verfolgen. In Ermangelung anderer Mittel, um die Epidemie aufzuhalten oder ihr vorzubeugen, kann die Impfung empfohlen sein, vor allem, um die Schwächsten und am meisten Gefährdeten zu schützen.“[7] Hier ist zusätzlich der Aspekt der Verpflichtung zur Sorge um das eigene Leben angesprochen. Die Glaubenskongregation fordert im gleichen Abschnitt dazu auch diejenigen auf, die aus Gewissensnöten keine Impfung mit bestimmten Impfstoffen annehmen möchten, sich auf jede andere medizinische Weise an der Eindämmung der Pandemie zu beteiligen. Papst Franziskus selbst, wie auch sein Vorgänger Benedikt XVI. haben sich impfen lassen und bereits Anfang des Jahres ein eigenes Impfprogramm für den Vatikanstaat aufgelegt.

Anlass des Schreibens der Glaubenskongregation war übrigens die Frage nach ethischen Erlaubtheit bestimmter Impfstoffe. Auch dieser Punkt ist als Streitpunkt bereits benannt worden. Im Visier stand hier der Impfstoff von AstraZeneca, in dessen Entwicklung auf Stammzellenlinien aus abgetriebenen Föten zurückgegriffen wurde. Die Glaubenskongregation stellt eindeutig fest, dass die Empfänger des Impfstoffes nicht sittlich falsch handeln. Die Kongregation wörtlich: „Es gilt also festzuhalten, dass alle Impfstoffe, die als klinisch sicher und wirksam anerkannt sind, in diesem Fall verwendet werden können, mit dem sicheren Gewissen, dass die Inanspruchnahme dieser Impfungen keine formale Mitwirkung an der Abtreibung, aus der die Zellen, mit denen die Impfstoffe hergestellt wurden stammen, bedeutet. Es ist allerdings zu unterstreichen, dass die moralisch zulässige Verwendung dieser Arten von Impfstoffen aufgrund der besonderen Bedingungen, die sie eben rechtfertigen, in sich keine (auch nicht indirekte) Legitimation für die Praxis der Abtreibung darstellen kann und die Missbilligung der Abtreibung seitens jener, die die Impfstoffe nutzen, voraussetzt.“[8] Die Nutzung von Impfstoffen dieser Art soll aber nach Möglichkeit nur dort erfolgen, wo keine besseren Alternativen zur Auswahl stehen.[9]

Im Grundsatz ist die katholische Position zur Covid-Impfung damit umschrieben. Einzelfragen bleiben und werden auch weiter umstritten sein. Einen guten Einblick in die Diskussion liefert ein Interview mit dem Paderborner Moraltheologen Peter Schallenberg.[10] Er deutet an, dass in Notlagen die Gewichtung der ethischen Fragestellung noch zu weiteren Konsequenzen im Sinne des Gemeinwohls führen kann, etwa in partielle Impfpflichten. Die Entwicklung der nächsten Wochen wird zeigen, welche Maßnahmen unter welchen äußeren Umständen hier neu gewichtet werden.

Beitragsbild: Hinweisschild auf dem Marktplatz von Boizenburg (Mecklenburg)


[1] Das Robert-Koch-Institut hat zur Erklärung der Maßnahmen entsprechende Hinweise gegeben: https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Downloads/Flyer-2G3G.pdf?__blob=publicationFile

[2] https://www.kath.net/news/71771.

[3] https://www.kath.net/news/76389.

[4] S. Katechismus Nr. 1755f.

[5] https://www.domradio.de/themen/papst-franziskus/2021-02-08/grundlegendes-menschenrecht-papst-pocht-auf-religionsfreiheit-trotz-corona-massnahmen

[6] S. Schreiben der Glaubenskongregation vom 20. Dezember 2020, Nr. 5. Der Text im Original: https://www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/documents/rc_con_cfaith_doc_20201221_nota-vaccini-anticovid_ge.html

[7] Schreiben der Glaubenskongregation, Nr. 5 (s.o.).

[8] Schreiben der Glaubenskongregation, Nr. 3.

[9] Schreiben der Glaubenskongregation, Nr. 2.

[10] https://www.erzbistum-paderborn.de/news/anreize-sind-hilfreich-und-manchmal-auch-noetig/