Burnout

Der sogenannte „Burnout“ gehört zu den Zivilisationskrankheiten unserer Zeit. „Burnout“ ist weniger eine medizinische Diagnose, sondern die Beschreibung für einen seelischen Zustand. Dieser Zustand ist der einer großen Erschöpfung. Ein Bekannter, der einen „Burnout“ erlebt hatte, berichtete mir davon so: „Ich hatte den Eindruck, dass ich jeden Tag bei der Arbeit unheimlich beschäftigt war. In Wirklichkeit schaffte ich aber immer weniger. Alle Gedanken drehten sich nur noch um mich. Es kostete mich immer mehr Mühe, auch nur die kleinsten Aufgaben zu erledigen. Als ich irgendwann einen ganzen Tag brauchte, um eine einzige Bestellung aufzugeben wusste ich, dass es vorbei ist. Erst dann habe ich einen Arzt aufgesucht.“

„Burn out“ heißt übersetzt nichts anderes als „Ausbrennen“. Man kann sich eine Öllampe vorstellen, deren Schein im Laufe der Zeit immer schwächer wird. Der Docht hat es zunehmend schwer, an genügend Lampenöl zu kommen. Der Pegel des Öls sinkt zunehmend, die Flamme wird immer kleiner und kleiner, bis am Schluss nur noch ein kleiner bläulicher Schimmer am Ende des Dochts zu sehen ist. Dann verlischt sie: Kein Brennstoff, keine Energie, kein Licht – jetzt wird es dunkel.

Ich glaube, dass es nicht nur persönliche „Burnouts“ geben kann, sondern auch gesellschaftliche. Ich hatte genau diesen Eindruck, als ich gestern die ZDF-Heute-Show sah. Eine Satiresendung, die seit Wochen die gleichen Themen behandelt: die Corona-Krise und den amerikanischen Wahlkampf. Und es kommen immer und immer wieder die gleichen Pointen, die sich durch ständige Wiederholung abstumpfen. Es gibt nichts Neues mehr zu sagen, immer nur die eine Meinung, keine Inspiration, keine Provokation, keine Überraschungen, und dann eben auch kein Witz mehr, keine Erheiterung. Die gleichen stumpf gewordenen Formulierungen und Worthülsen, die gewisse technokratische Langeweile, die Sprache, die niemanden mehr aufrütteln kann, keinen verletzen möchte, ausgewogen ist bis zur Gleichgültigkeit, den intelligenten Streit vermeidet und so irgendwie auf kleiner Flamme vor sich hinglüht. Für die Kirche wird das zur Zeit einmal wieder diskutiert. Auch hier in der Verkündigung, die große Langeweile, die ewig gleichen Formulierungen und Phrasen, die fehlende Inspiration, die Angst vor Kritik, alles ist wertschätzend gemeint, nichts mehr zugespitzt, ein schwaches Dämmern, dass von einigen beklagt wird. Nach dem Dämmern kommt das Verlöschen. Ich weiß nicht, ob Sie diesen Eindruck teilen. Vielleicht ist ein solcher Eindruck einfach der melancholischen Herbststimmung geschuldet, vielleicht auch der leicht demotivierenden Stimmung der derzeitigen Corona-Maßnahmen, die so viele Quellen der Erbauung, Unterhaltung und Freude verschließen: kein Singen, kein Tanzen, keine Feste, kein Theater, kein Sport, weniger Begegnungen, weniger Gespräche, weniger Bewegung, weniger Reisen.

Irgendetwas müsste man doch gegen diese Dämmerstimmung tun, gegen das Erschlaffen, die Müdigkeit, die Uninspiriertheit. Da passt es ganz gut, dass gerade in dieser Zeit des Kirchenjahres Texte gelesen werden, die aufrütteln möchten. Es kommen die Bibelstellen, die an die Wachsamkeit erinnern, an die Grundspannung, an die Bereitschaft, an die Offenheit, sich überraschen zu lassen, sich zu aktivieren, den „Burnout“ aufzuhalten. Die Frauen im Gleichnis des Sonntags erleben den Burnout:

In jener Zeit erzählte Jesus seinen Jüngern das folgende Gleichnis: Mit dem Himmelreich wird es sein wie mit zehn Jungfrauen, die ihre Lampen nahmen und dem Bräutigam entgegengingen. Fünf von ihnen waren töricht, und fünf waren klug. Die törichten nahmen ihre Lampen mit, aber kein Öl, die klugen aber nahmen außer den Lampen noch Öl in Krügen mit. Als nun der Bräutigam lange nicht kam, wurden sie alle müde und schliefen ein. Mitten in der Nacht aber hörte man plötzlich laute Rufe: Der Bräutigam kommt! Geht ihm entgegen! Da standen die Jungfrauen alle auf und machten ihre Lampen zurecht. Die törichten aber sagten zu den klugen: Gebt uns von eurem Öl, sonst gehen unsere Lampen aus. Die klugen erwiderten ihnen: Dann reicht es weder für uns noch für euch; geht doch zu den Händlern und kauft, was ihr braucht. Während sie noch unterwegs waren, um das Öl zu kaufen, kam der Bräutigam; die Jungfrauen, die bereit waren, gingen mit ihm in den Hochzeitssaal, und die Tür wurde zugeschlossen. Später kamen auch die anderen Jungfrauen und riefen: Herr, Herr, mach uns auf! Er aber antwortete ihnen: Amen, ich sage euch: Ich kenne euch nicht. Seid also wachsam! Denn ihr wisst weder den Tag noch die Stunde. (Mt 25,1-13).

Der Text illustriert die Haltung der Christen in der Zeit nach Jesus. Alle sind zunächst in froher Erwartung. Sie hoffen auf die Wiederkunft, das heißt auf das erneute Einbrechen der Heilszeit, die endzeitliche Erlösung, die Erfüllung der Hoffnung, die sie getragen hat. Doch die einen werden müde und schlafen ein, die anderen nicht. Den einen geht das Öl aus, den anderen nicht. In dem Öl sahen frühe Theologen die christlichen Tugenden, also den Glauben, die Hoffnung und die Liebe. Wo diese erlöschen, also nicht mehr da sind, unter der Routine des Alltags verschwinden, in die Gleichgültigkeit versinken, da wird es dunkel, da aktiviert der Glaube nichts mehr, wird das Beten schläfrig, die Nächstenliebe passiv, spricht die Heilige Schrift nicht mehr, werden die Sakramente zu unfruchtbaren und toten Zeichen. Daher die Mahnung: Sorgt dafür, dass genug da ist, legt euch Vorräte an, schaut, dass das Öl nicht ausgeht.

Menschen die einen Burnout erlebt haben berichten von einem sehr langen und schmerzlichen Prozess. Mein Bekannter, der mir von seinen Erfahrungen erzählt hatte, berichtete mir nachher: „Mir ist in der Zeit der Depression und der langsamen Heilung vieles aufgegangen. Ich hatte vor dem Burnout irgendwie alles falsch gemacht. Ich hatte mich nicht mehr richtig um meine Beziehung gekümmert. Ich hatte es versäumt, mich mit schweren Situationen in meinem Leben auszusöhnen, ich hatte zu wenig Zeit für die wichtigen Dinge aufgespart, keinen Urlaub gemacht, ich kannte nur noch meine Arbeit. Mein Büro war zu einem Fluchtort geworden, zu einer Höhle, in der ich die Welt da draußen aussperren konnte. Als dann die Arbeit nicht mehr funktionierte, war nichts mehr da.“ Das Evangelium kann in diesem Sinn als Aufruf zur geistlichen Vorratshaltung gelesen werden: Die Begegnung mit den Menschen nicht vergessen, sich auseinandersetzen mit den Dingen meines Lebens und meines Glaubens; etwas Inspirierendes lesen, die Seele baumeln lassen, das Gebetsleben erneuern, andere Worte oder Formen ausprobieren, wo alte ihren Reiz verloren haben, etwas Gutes für andere tun, einmal wieder zur Beichte gehen, um die Befreiung und Erleichterung der Vergebung zu erfahren. Der Glaube, die Hoffnung und die Liebe sind Lebensressourcen. Sie sollen meine Welt hell halten und mich aufmerksam und erwartungsvoll. Das ist wahrscheinlich gerade in diesen Wochen wichtig, in denen so viel anderes wegfällt. Vielleicht ist gerade diese Zeit auch eine Gelegenheit dazu. Nicht müde werden! Nicht „Burn out!“, sondern „Shine on“!

Ein Kommentar zu „Burnout

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