Die Psychologie versucht, die inneren Antriebe von Menschen zu ergründen. Es gibt die Psychologie und es gibt die „Küchenpsychologie“. Diese versucht das gleiche – Erklärungsmuster für das Verhalten von Menschen zu finden, allerdings nicht aufgrund wissenschaftlicher Forschung und Methode, sondern aufgrund von Alltagsbeobachtungen.
Zu meinen küchenpsychologischen Erkenntnissen gehört, dass man aufmerksam werden sollte, wenn ein Mensch seine Frisur ändert, also nicht bloß „mal wieder“ zum Friseur geht, sondern sich einen ganz neuen „Look“ geben möchte.
So etwas kommt häufiger bei Jugendlichen vor, zuweilen aber auch bei Erwachsenen. Meistens, und dies ist meine küchenpsychologische Erkenntnis, steht hinter einem Frisurwechsel auch eine innere Veränderung. Menschen versuchen, sich neu zu definieren, neu finden, einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Sie drücken durch ihr Äußeres ein neues Lebensgefühl aus, sowohl im positiven wie auch im negativen Sinn.
Es gibt diese Phasen im Leben, in denen jemand das Gefühl hat, sich selbst verändern zu müssen, erwachsen zu werden oder sensibler, oder entschiedener oder kreativer, Phasen, in denen ich Interesse für neue Ideen, ein neues Umfeld, eine neue Lebensform habe. Psychologen sagen, dass es für solche gewollte Veränderungen der Persönlichkeit zwei Antriebe gibt. Diese Antriebe werden mit den englischen Wörtern „pain“ und „gain“ gekennzeichnet.
„Pain“, also „Schmerz“ ist ein starker Veränderungsmotor. Ich habe Angst vor negativen Konsequenzen in meinem Leben und passe mein Handeln, Reden und Arbeiten entsprechend an, um Leiden zu vermeiden. Vielleicht werde ich verschlossener, oder auch fleißiger, oder ich versuche, gesünder zu leben.
Der andere potentielle Antrieb heißt „gain“, übersetzt „Gewinn“, „Nutzen“. Hier verändere ich mein Verhalten, weil ich davon einen Vorteil erhoffe, etwa den Wunsch, bei Menschen besser anzukommen, im Berufsleben weiterzukommen, attraktiver oder dominanter zu werden, ein „besserer“ Mensch zu sein.
Beide Antriebe können für den Außenstehenden als negativ oder als vorteilhaft in der Veränderung eines Menschen wahrgenommen werden.
Das Evangelium nimmt uns hinein in die Zeit Johannes des Täufers. Es ist eine Wendezeit. Johannes ruft auf der einen Seite die Ankunft des Reiches Gottes aus und macht gleichzeitig klar, dass er nur Vorläufer ist für denjenigen, an dem dieses Gottesreich Wirklichkeit werden soll. Es soll sich etwas in der Zeit verändern, etwas, wozu sich die Menschen verhalten müssen. Die große Veränderung der Zeit bedeutet für den Einzelnen eine Änderung seines Lebens.
Als Johannes der Täufer auftritt, fordert er die Menschen auf, sich zu ändern. Konkret möchte er sie überzeugen, sich im Moralischen zu bessern und als gläubige Menschen zu leben, mit Respekt vor Gott und den Nächsten. Johannes arbeitet hierbei mit „pain“, man könnte sagen, mit dem Mittel der Abschreckung. Das Kommen Gottes ist mit dem Gericht verbunden. Jeder muss Rechenschaft für seine Taten ablegen. Jetzt noch gibt es die Gelegenheit zur Umkehr und zum Neuanfang. Das Gericht steht vor der Tür. Wehe also denjenigen, die sich nicht ändern. Sie werden bestraft werden.
Die Verkündigung Jesu ist in weiten Teilen anderer Natur. Auch er kennt die Rede vom Gericht. Er kennt aber vor allem einen anderen Antrieb, den der positiven Motivation. Warum lohnt es sich, umzukehren und neu zu beginnen, warum ist es wichtig, sich zu ändern? Es ist wichtig, weil es sich lohnt.
Denken Sie an eine Begebenheit wie die Begegnung zwischen Jesus und Zachäus. Zachäus hat allen Grund, sich zu ändern. Sein Leben als Zöllner ist nicht besonders lobenswert. Er gilt den anderen als „Abzocker“, der seine Macht ausnutzt, um in die eigene Tasche zu wirtschaften. Zachäus wird sich ändern müssen. Er ändert sich aber, als er etwas Positives erfährt. Jesus lädt sich bei ihm ein. Er bietet ihm seine Freundschaft an. Zachäus merkt, dass diese Freundschaft und Nähe für ihn etwas sehr Wichtiges, Erstrebenswertes ist. Er hat daher keine Probleme, die Änderung zu vollziehen. Noch bei der ersten Begegnung bietet er an, sein Unrecht gutzumachen und von nun an Jesus nachzufolgen.
Ich glaube, so sieht eine gute Mission aus. Wer andere vom Glauben überzeugen möchte, oder von einer christlichen Lebensweise, hat schlechte Chancen, wenn er mit Drohungen arbeitet. Das hat die christliche Pädagogik vergangener Zeiten gezeigt. Was nützt es, wenn ein Mensch handelt, weil er nicht bestraft werden möchte? Er wird sich an der Oberfläche ändern. Im Inneren aber – wird er wirklich überzeugt sein? Ich denke, dass Menschen im Glauben wachsen können, wenn sie eine gute Erfahrung machen, die Erfahrung, dass der Glaube und die Gottesbegegnung etwas Schönes und Wichtiges ist, dass hier wirklich „Leben in Fülle“ entstehen kann.
Wir hören heute das Evangelium und die Botschaft des Täufers, sich zu ändern. Warum wir uns ändern sollen, warum es gut ist, sich zu ändern wird erst später offenbar. Das Kommen Jesu, um das es in der Adventszeit geht, soll uns im Positiven stärken können. Ich darf mich ändern, weil diese Veränderung Seelenfrieden, Freundschaft und Liebe bedeuten kann.
Beitragsbild: Die Bußpredigt Johannes des Täufers – Relief in der Kathedrale von Amiens (Frankreich)
Es gibt einen dritten Grund sich zu ändern (außer „pain“ und „gain“). Der dritte Grund ist der Wunsch, sich selbst kennenzulernen. In einer Welt, in der wir es gewohnt sind, unsere „Schokoladenseite“ auf Facebook und Instagram ins Schaufenster zu stellen, kommen die dunklen Seiten zu kurz. Die Begegnung mit unseren dunklen Seiten kann, wenn wir sie annehmen und zu ihnen stehen, eine enorme Befreiung bewirken. Ja, wir können es sogar wagen sie ins Schaufenster zu stellen. Das nennt man Authentizität.
Dazu meine Buchempfehlung: „Befreiung vom Ego: Wege zum wahren Selbst.“ Von Richard Rohr (2008).
PS: Eine gute Methode das „wahre Selbst“ zu erkennen, ist die Beobachtung der eigenen Person. Wenn etwas in mir einen Gefühlsausbruch auslöst (Wut, Zorn), hat es in den meisten Fällen etwas mit mir zu tun. Genau da lauern die „Schatten“ (verleugnete Eigenschaften).
PSPS Johannes war kein Angstmacher. Er war ein Wegbereiter.
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Es gibt einen dritten Grund sich zu ändern (außer „pain“ und „gain“). Der dritte Grund ist der Wunsch, sich selbst kennenzulernen. In einer Welt, in der wir es gewohnt sind, unsere „Schokoladenseite“ auf Facebook und Instagram ins Schaufenster zu stellen, kommen die dunklen Seiten zu kurz. Die Begegnung mit unseren dunklen Seiten kann, wenn wir sie annehmen und zu ihnen stehen, eine enorme Befreiung bewirken. Ja, wir können es sogar wagen sie ins Schaufenster zu stellen. Das nennt man Authentizität.
Dazu meine Buchempfehlung: „Befreiung vom Ego: Wege zum wahren Selbst.“ Von Richard Rohr (2008).
PS: Eine gute Methode das „wahre Selbst“ zu erkennen, ist die Beobachtung der eigenen Person. Wenn etwas in mir einen Gefühlsausbruch auslöst (Wut, Zorn), hat es in den meisten Fällen etwas mit mir zu tun. Genau da lauern die „Schatten“ (verleugnete Eigenschaften).
PSPS Johannes war kein Angstmacher. Er war ein Wegbereiter.
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