Am 24. Juni wird das Fest der Geburt Johannes des Täufers gefeiert. In den Gottesdiensten wird die Geschichte seiner Empfängnis und Geburt aus dem Lukasevangelium gelesen. Darin wird berichtet, dass Elisabeth, seine Mutter bereits höheren Alters war und eigentlich schon kein Kind mehr empfangen konnte. Zacharias, ihr Mann dient als Priester im Tempel. Als er dort das Abendopfer im Tempel darbringt, erscheint ihm in der Wolke des Weihrauchs ein Engel und verkündet, dass Elisabeth schwanger ist und einen Sohn gebären wird, der den Namen Johannes tragen soll. Johannes wird als Prophet auftreten. Zacharias zweifelt an der Botschaft und wird daraufhin mit Stummheit geschlagen. Erst nach der Geburt des Sohnes kann er wieder sprechen. Seine ersten Worte sind ein Lobpreis, das sogenannte „Benedictus“ (Lk 1, 68-78), in dem die Rettung des Volkes Israel angekündigt wird.
Lukas nimmt sich für diese Erzählung viel Zeit. Er verwebt die Vorgeschichte des Johannes mit der Vorgeschichte Jesu. Die beiden Kinder wachsen zur gleichen Zeit im Mutterleib heran. Der Text ist vor allem eine theologische Erzählung. Das Evangelium möchte von Beginn an die Bedeutung und Rolle der beiden Personen klären. Johannes wird vom Engel als großer Prophet in der Tradition des Elija angekündigt (Lk 1,17), Jesus als der neue König: „Dieser wird groß sein und Sohn des Höchsten genannt werden und der Herr wird ihm den Thron seines Vaters David geben“ (Lk 1,32). Damit scheinen die Rollen verteilt zu sein, wie sie in der kirchlichen Tradition dann auch gelesen werden: Jesus, der Messias und sein Prophet Johannes. Aber das Lukasevangelium legt noch eine weitere Spur, der ich gerne nachgehen möchte.
Im jüdischen Verständnis sind zwei Personen in der Leitung des Volkes besonders wichtig: Der König und der Hohepriester. In ihren beiden Rollen spiegelt sich das alte Verhältnis von Mose und seinem Bruder Aaron wider. Mose ist der Anführer des Volkes und zugleich derjenige, der in Gottes Auftrag das Gesetz empfängt und auslegt. Er nimmt die königliche und richterliche Rolle ein. Aaron hingegen ist der Priester, Verwalter des Heiligtums und für die Opfer verantwortlich. Er ist aber zugleich das „Sprachrohr“ des Mose (Ex 4,14), da dieser sich im Reden unsicher fühlt. Als die Brüder zum Pharao gehen, um die Befreiung des Volkes Israel zu fordern, heißt es: „Der HERR sprach zu Mose: Hiermit mache ich dich für den Pharao zum Gott; dein Bruder Aaron soll dein Prophet sein. Du sollst alles sagen, was ich dir auftrage; dein Bruder Aaron soll es dem Pharao sagen und der Pharao muss die Israeliten aus seinem Land fortziehen lassen“ (Ex 7,1). Die Formulierung ist eigenartig: Mose soll als gottgleiche Gestalt dem Pharao (der ja nach ägyptischem Verständnis auch gottgleich verehrt wird) gegenübertreten. Aaron ist der Prophet, der das Handeln Gottes ankündigt. Er ist es auch, der mit der Ausführung der Wunderzeichen („die sieben Plagen“) beauftragt wird. Genau diese Beschreibung findet sich, wohl nicht ganz zufällig im „Benedictus“ wieder. Dort heißt es sinngemäß: Gott wird seinem Volk Erlösung schaffen und einen Retter aus dem Haus Davids senden. Das Kind (Johannes) ist „Prophet des Höchsten“ und wird dem kommenden Herrn vorangehen, um das Volk auf die Rettung vorzubereiten.
Das Lukasevangelium nimmt die Moses/Aaron-Typologie auf. Wichtig ist der geschichtliche Kontext, in dem sich die Vorgeschichte von Jesus und Johannes ereignet. In Rom herrscht der gottgleiche Kaiser Augustus. Als Vasallenkönig hat er in Judäa Herodes eingesetzt. Herodes stammte aus Idumäa (heutiges Gebiet in Jordanien). Seine Familie war zum Judentum konvertiert. Von seiner Abstammung her war Herodes also kein „Davide“, kam also also nicht aus dem königlichen Stamm Benjamin. Er war damit aus der Sicht der gläubigen Juden kein legitimer König Israels. Der zweite wichtige Posten, der des Hohenpriesters war unter der Herrschaft des Herodes mit Gefolgsleuten aus der jüdischen Priesterschaft, dem Stamm Levi besetzt worden. Ursprünglich wurde das Amt in der hohepriesterlichen Familie weitergegeben. Auch der Hohepriester war also zur Zeit der Geburt Jesu im strengen Sinn kein „rechtmäßiger“ Hohepriester.
Lukas betont nun in seinem Evangelium ausdrücklich die Abstammung der beiden Kinder. Elisabeth, die Mutter des Johannes ist eine „Tochter Aarons“ (Lk 1,5). Auch der Vater Zacharias stammt aus dem Stamm Levi und ist ein Priester. Josef, der gesetzliche Vater Jesu ist aus dem „Haus und Geschlecht Davids“ und stammt sogar aus Betlehem, der Geburtsstadt König Davids (Lk 2,4). Zudem wird betont, dass Jesus und Johannes miteinander verwandt sind. Lukas macht seinen jüdischen Lesern so deutlich, dass durch den wunderbaren Eingriff Gottes (durch zwei biologisch eigentlich unmögliche Geburten) ein neues und legitimes Paar von König und Hohepriester, von Mose und Aaron zum Volk gesandt wird. Es geht darum, die ungerechte Herrschaft und Knechtschaft des Volkes (durch den römischen Kaiser und ihre Vasallenkönige und den illegitimen Hohepriester) zu abzulösen und dem Volk Israel eine neue gottgewollte Herrschaft zu geben. Dazu gehört, dass Johannes später als „Stimme“ nicht nur den neuen Messias ankündigt, sondern zugleich die illegitimen Herrscher scharf kritisiert und Jesu Taufe als Salbung des Königs inszeniert wird, inklusive des alten Königtitels „Sohn Gottes“ (Lk 3, 19-22).
Wenn man also den Andeutungen des Lukasevangeliums nachgeht, hat Johannes der Täufer eben nicht bloß eine prophetische, sondern auch eine priesterliche Sendung. Diese tritt in den Evangelien allerdings dann nicht mehr hervor. Sie scheinen Johannes auf seine prophetische Rolle festzulegen. Dies mag damit zu tun haben, dass zum einen das alte Priestertum in Jesus seinen Abschluss findet und ihm später im Hebräerbrief die hohepriesterliche Würde zugedacht wird. Zum anderen tritt die Rolle des Täufers insgesamt nach der Taufe Jesu deutlich zurück. Ein paar Anklänge an den priesterlichen Dienst finden sich aber vielleicht doch. Zum einen waren die Priester verpflichtet, sich vor dem Dienst im Tempel einer Reihe von rituellen Waschungen zu unterziehen, um kultisch rein zu sein. Dies Sitte wurde auch von jüdischen Splittergruppen, wie den Essenern durchgeführt. Wer in die Gegenwart Gottes treten möchte, muss „rein sein“. Die Taufe des Johannes trägt diesen Gedanken weiter, wobei die Waschung hier eher ein prophetisches Zeichen ist. Die reine Waschung ist nur ein Ausdruck einer innerlichen Umkehr, einer Neubekehrung zu Gott. Zum zweiten dürfte es kein Zufall sein, dass Johannes Jesus als „Lamm Gottes“ (Joh 1,36), also als Opfertier identifiziert. Die Wahl des Opfertiers und dessen Begutachtung gehörte zu den genuin priesterlichen Aufgaben. So zeigt sich bei der Betrachtung der Gestalt des Täufers wieder einmal die Vielschichtigkeit der biblischen Überlieferung. Es lohnt sich also, seine Person (nicht nur zum fest seiner Geburt) immer wieder einmal neu in den Blick zu nehmen.
Beitragsbild: Taufe Jesu, Fresko in Santa Croce, Florenz