Du lebst in unseren Herzen weiter [zum Osterfest]

Kennen Sie eigentlich Ihre Vorfahren? Die Eltern sind Ihnen in der Regel bekannt, wahrscheinlich auch die Großeltern. Sie wissen, wie sie heißen oder hießen, wie ihr Leben verlaufen ist. Sie haben noch persönliche Erinnerungen. Wie ist es mit den Urgroßeltern? Da wird es schon schwieriger. Ihre Namen werden Sie sicher noch kennen, vielleicht haben Sie sie auch noch persönlich kennengelernt. Und bei den Ururgroßeltern?

Im Pfarrbüro melden sich manchmal Menschen, die Ahnenforschung betreiben. Sie haben sich auf die Suche nach den Wurzeln ihrer eigenen Geschichte gemacht und hoffen, in den Archiven noch etwas zu finden: Den Eintrag über eine Taufe oder Hochzeit oder eine Beerdigung. Häufig ist so eine Suche nicht von großem Erfolg gekrönt. Mehr als ein Name, ein Datum oder einen Hinweis auf einen Herkunftsort lässt sich selten finden. Manche betreiben Ahnenforschung auch, um irgendwann auf einen bekannten Namen zu treffen. Das ist statistisch nicht unwahrscheinlich. Rein mathematisch sind auf dreißig Generationen gerechnet alle mit allen irgendwie verwandt.

Es kann also sein, dass in ihrer Ahnenlinie irgendwann ein bekannter Name auftaucht, Katharina die Große, Friedrich Schiller oder Kaiser Friedrich Barbarossa. Über die meisten Menschen unserer Ahnenreihe, wahrscheinlich über 99% hat sich allerdings längst der Mantel des Schweigens gebreitet. Dieser Befund ist ernüchternd. Selbst die Grabstelle, die an einen Verstorbenen erinnert wird nach ein paar Jahrzehnten aufgelöst. Wo sind diese Verstorbenen jetzt?

Auf Beerdigungen höre ich häufig den Satz „Du lebst in unseren Herzen weiter“. Dieser Satz ist tröstlich und lieb gemeint. Er verweist darauf, dass wir an die Verstorbenen Erinnerungen haben und, dass wir ihnen gegenüber Gefühle haben, dass wir uns bemühen, ihrer zu gedenken. Der Satz hat allerdings einen Haken: Unsere Erinnerung verblasst und wird unzuverlässig. Auch unser Herz, dass das Andenken bewahren soll, hört irgendwann auf zu schlagen.

Erstaunlicherweise gibt es Theologen, die versuchen, die Auferstehung Jesu in dieser Weise zu erklären. Berühmt geworden ist der folgende Satz Rudolf Bultmanns, eines Neutestamentlers vom Anfang des letzten Jahrhunderts: „Jesus ist in das Kerygma auferstanden“. Bultmann meinte damit, dass Jesus nach seinem Tod zum Bestandteil des gläubigen Gedenkens geworden ist. Dadurch, dass seine Nachfolger ihn verkünden und an ihn glauben, bleibt er lebendig. Im Grunde ist dies eine Verkleinerung des Auferstehungsglaubens auf menschliche Maßstäbe. Konsequent gedacht wäre die Auferstehung nicht mehr wahr, wenn der letzte Christ gestorben ist.

Die biblische Osterbotschaft meint etwas anderes, wenn sie von der Auferstehung spricht. Es stimmt: Die Osterberichte vom leeren Grab machen zunächst das Erschrecken darüber deutlich, dass Jesus wirklich nicht mehr da ist. Sein Leichnam ist verschwunden, so dass sein Grab zu einer leeren Gedenkstätte geworden und eigentlich ohne Bedeutung ist. Die Jünger erfahren davon nur aus den Erzählungen der Frauen am Grab. Und dann sehen sie ihn selbst. Sie können sich davon überzeugen, dass er lebt. Dieses „leben“ ist allerdings keine Fortsetzung des irdischen Daseins Jesu sondern etwas anderes. Es ist die Begegnung mit einem ewigen Dasein bei Gott, jenseits unserer Zeit.

Die Auferstehung muss etwas Gewaltiges sein. Sie verankert unser kleines irdisches Leben in der Liebe Gottes, wenn man so will, in seinem Herzen. Und diese Verankerung, dieses Leben ist ewig. Gegen das unausweichliche irdische Vergessen setzt es das ewige Bewahren, mit Leib und Seele, das heißt, mit allem was mein Leben bedeutet und ausmacht. Das Osterfest stellt mich vor die Frage, ob ich dieser Botschaft glauben möchte. Am leeren Grab Jesu stehe ich vor der Wahl, an dieser Stelle stehenzubleiben und in die Leere der menschlichen Vergänglichkeit zu schauen, oder der Botschaft Glauben zu schenken, die meine menschliche Vergänglichkeit zur Fülle führen soll, die ergänzen soll was fehlt, aussöhnen, was unversöhnt geblieben ist, heilen, was verwundet wurde und die das Dunkel des Todes mit Licht erfüllen wird. Ostern ist nicht das Gedenken an einen Verstorbenen, sondern die Feier der Gemeinschaft mit einem Lebenden. Dies ist die Botschaft die heute verkündet wird: Christus ist siegreich vom Tod erstanden. Er hat den Tod besiegt und das Leben neu geschaffen. In ihm haben wir Anteil an diesem Leben, das uns bereitet ist in seiner ganzen Fülle.  

Beitragsbild: Relief auf der Nachbildung des Grabes Jesu in der Kirche Santo Stefano in Bologna

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