Im Jahr 2011 schrieb der Zukunftsforscher Mathias Horx ein Buch über die weitere Entwicklung der Welt.[1] Er wagte einen Blick in die damals vor ihm liegende Zeit und stellte Prognosen. Es ist interessant, in die Zukunftsvorstellungen der Vergangenheit zu schauen. Was wurde vor 15 Jahren zur Zukunft geschrieben? Zentrale Thesen von Horx waren z.B. eine Weiterentwicklung der Globalisierung. Der klassische Gegensatz zwischen reichen und armen Ländern würde sich mit der Zeit nivellieren. Durch eine stärkere Dezentralisierung könnte der Wohlstand auf der Welt beständig steigen. Es werde einen Trend von einer zentralen zu einer dezentralen Globalisierung geben.
Eine weitere Zukunftsthese lautete, dass die Bedeutung von Frauen für das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben enorm zunehmen werde. Eine dritte These sagte die zunehmende Individualisierung der Gesellschaften voraus. Zudem werde das Altern in eine neue Phase gehen, da auch in Entwicklungs- und Schwellenländern die Bevölkerungen im Durchschnitt länger leben würden. Neue Ideen und Konzepte des Alterns könnten entstehen. Außerdem sei davon auszugehen, dass wir es mit einer weiter ansteigenden Urbanisierung zu tun bekommen. Weite Teile der Welt würden zukünftig hauptsächlich in großen Städten wohnen.
Wie soll man diese Zukunftsvorhersagen heute bewerten? Einige sind deutlich zu sehen, andere nicht. Horx hat 2011 nicht mit einem erneuten Erstarken des Nationalismus und Protektionismus gerechnet. Er konnte nicht sehen, wie eine weltweite Pandemie die wirtschaftliche Globalisierung empfindlich stören würde. Er konnte noch nicht sehen, dass auch die damals boomende chinesische Wirtschaft in die Krise geraten könnte. Bei den Frauenrechten sind weltweit eher Rückschritte zu verzeichnen. Alte patriarchale Strukturen sind in vielen Ländern wieder fester etabliert als vor 15 Jahren. Gegen den Trend der großen Städte gibt es längst Gegentrends, vor allem in den Industrieländern. Bei anderen Prognosen, etwa bei der Individualisierung, hat Horx zumindest bezogen auf die westliche Welt damals ins Schwarze getroffen.
Das ist das Besondere an der Zukunft: Wir wissen nie sicher was passiert. Im Rückblick sagen wir gerne: „Das musste ja so kommen“. Wir können analysieren, wieso Dinge geschehen sind. Aber dieser Eindruck ist trügerisch. In der Situation von damals war nicht klar, dass es so kommen musste. Es gab immer auch andere Entwicklungsmöglichkeiten. Die Geschichte verläuft (entgegen der hegelschen oder marxistischen Geschichtstheorie) eben nicht mit Notwendigkeit so, wie wir vorhersagen.
Jesus nimmt diesen Gedanken in seiner Rede auf, die im heutigen Evangelium gelesen wird (Lk 13, 1-9). Er bezieht sich auf zwei Ereignisse, die die Menschen seiner Zeit entsetzt haben. Zum einen hatte es im Jerusalemer Tempel eine Gewaltaktion der Römer gegen galiläische Pilger gegeben, bei denen einige von ihnen ermordet wurden. Zum anderen war ein Turm in Jerusalem eingestürzt, eine Katastrophe, bei der 18 Menschen ums Leben kamen. Die religiöse Deutung hieß: „Es musste ja so kommen. Diese Menschen sind für ihre Sünden bestraft worden.“ Wenn das stimmt, so sagt Jesus, dann müssten alle auf eine solche Weise umkommen, weil doch alle Sünder sind. Es musste nicht so kommen. Es gibt keinen Automatismus. Es könnte auch alles anders verlaufen. Jesus erzählt danach ein Gleichnis, das Gleichnis vom geduldigen Gärtner, der seinem verkümmerten Baum noch eine Chance gibt. Jesus will mit dem Beispiel die Geduld und Barmherzigkeit Gottes gegenüber den Sündern demonstrieren. Jeder hat die Chance, umzukehren, jeder hat die Chance, das Unglück abzuwenden.
Abseits von der religiösen Frage der Sünde, ist die Welt in Wirklichkeit voll von solchen Geschichten, von den kleinen Wundern der Rettung, der Wendung zu Guten entgegen allen negativen Prognosen. Ich habe in den letzten Tage gleich von mehreren gehört. So erzählte mir eine Familie von ihrer Mutter, die nach einem Schlaganfall mit schweren Gehirnschädigungen im Koma lag. Die Ärzte gaben ihr eine schlechte Prognose. Die Familie musste eine harte Entscheidung treffen. Sollten die Geräte abgestellt werden? Sie entschieden sich dagegen. Tatsächlich, nach einem langen und harten Kampf kam die Frau wieder ins Leben zurück. Sie konnte schließlich wieder sprechen und gehen. Oder es ist die Erzählung von Eltern, deren Tochter sich in der Schulzeit irgendwann in Drogen und Depressionen verloren hatte. Sie hat nach einer harten Zeit die Umschwung geschafft. Sie lernt einen Beruf, hat sich aus der Krise wieder herausgearbeitet. Oder die Erzählung eines Unternehmers, dessen Firma vor einigen Jahren vor der Pleite stand, weil Investoren ihr Geld zurückgezogen hatten. Er hat weiter gemacht, hart gearbeitet und schließlich diese Phase überwunden. Heute geht es ihm und dem Unternehmen gut.
Das sind Geschichten, bei denen wir im Nachhinein nicht sagen können, dass es so hätte kommen müssen. Es sah ganz anders aus. Es sind Geschichten, die von der Kraft der Geduld, der Liebe, Hoffnung und der inneren Stärke erzählen. Es sind die Geschichten des Feigenbaums, der schon tot schien und sich aus der Kraft seiner Wurzeln wieder erholt, weil sein Gärtner mit ihm Geduld hatte.
Es gibt keine Gewähr dafür, dass die Geschichte gut ausgeht. Es ist immer möglich, dass etwas anderes geschieht. Aber es muss eben nicht so kommen, wie wir es gerade zu sehen meinen.
Diese Botschaft darf man heute ruhig den Menschen sagen, die für unsere Zeit nichts als düstere Prognosen haben. Sie stellen damit die Kraft der Vernunft und der Liebe in Frage. Es könnte so kommen, aber es muss nicht. Die Zukunft ist für uns nur sehr begrenzt vorhersagbar. Die Zukunft im Sinne einer positiven Vision unserer Erde ist derzeit stark aus der Mode gekommen. Es herrscht doch eher die Einstellung vor, man müsse sich im Krisenmodus bewegen, das heißt, das Schlimmste verhindern, häufig, ohne zu beschreiben, mit welcher Idee des Guten wir unterwegs sind. Das beste scheint zu sein, wenn alles irgendwie halbwegs stabil bleibt, wie es ist. Aber das ist nicht das Beste. Das ist eine mutlose Sicht der Verzagtheit, eine hoffnungslose Sicht.
Aus dem christlichen Glauben dürfen wir sagen, dass Gott eine gute Zukunft für uns vorsieht. Diese Zukunft steht unter dem Vorzeichen der Vergebung, der Erlösung und der Barmherzigkeit. Jesus würde uns heute wahrscheinlich nichts anderes sagen als den Menschen damals: „Sagt nicht ‚es musste so kommen‘. Glaubt an einen Gott, der das Gute für euch vorsieht. Richtet euch auf, glaubt und hofft, setzt eure Kräfte ein. Seid nicht verzagt, sondern geht mutig in die Zeit, die vor euch liegt.“ Im Letzten, und das ist die österliche Perspektive, soll der Tod überwunden werden und das Leben siegen.
Beitragsbild: Das Bäumchen – Detail aus einem Altarbild vom Jüngsten Gericht im Diözesanmuseum in Köln
[1] Matthias Horx, Das Megatrend Prinzip, München 2011.