Es gibt viele Möglichkeiten, sein Vermögen anzulegen. Bei Vermögen denken die meisten sicher zuerst an Geld. Doch das Vermögen geht darüber hinaus. Das Vermögen eines Menschen besteht aus seinem ganzen Potential. Dazu gehören die wertvollen Ressourcen von Zeit, Arbeitskraft, Kreativität, seine Beziehungen und Begabungen. Jeder von uns hat also Vermögen. Wo soll ich es anlegen? Am besten doch dort, wo ich durch die Anlage einen Gewinn erhoffe.
Im Fernsehen gibt es eine beliebte Sendung, die „Höhle der Löwen“. Dort sitzen vier Investoren, die, so wird zumindest suggeriert, über großes Vermögen verfügen. In die Sendung kommen nun Menschen, die eine Geschäftsidee entwickelt, eine Erfindung gemacht oder eine Firma gegründet haben. Sie suchen nach Kapital und nach Mentoren, die ihnen in der wirtschaftlichen Entwicklung weiterhelfen können. Sie haben nur einige Minuten Zeit, sich und ihr Business vorzustellen. Die Investoren entscheiden dann, ob sie investieren wollen und ihr Geld, ihre Zeit, Arbeitskraft und ihre Beziehungen für die Gründer, ihre Ideen oder Firmen einsetzen möchten. Die Hoffnung dabei ist immer der große Gewinn. Es könnte sein, dass die eine oder andere Idee verfängt und erfolgreich wird, so dass sie einmal gute Rendite abwirft. Aber das ist nie sicher. Im Wirtschaftsjargon spricht man von „Risikokapital“. Der Einsatz des Vermögens gleicht einer Wette auf die Zukunft. Der Erfolg ist nicht garantiert. Es ist den Investoren klar, dass sie einen Teil des investierten Vermögens auch wieder verlieren werden.
Man kann das Evangelium des Sonntags aus der Feldrede des Lukas als eine Aufforderung zum investieren lesen. Der Text lautet:
Dem, der dich auf die eine Wange schlägt, halt auch die andere hin, und dem, der dir den Mantel wegnimmt, lass auch das Hemd. Gib jedem, der dich bittet; und wenn dir jemand etwas wegnimmt, verlang es nicht zurück. Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen. Wenn ihr nur die liebt, die euch lieben, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder lieben die, von denen sie geliebt werden. Und wenn ihr nur denen Gutes tut, die euch Gutes tun, welchen Dank erwartet ihr dafür? Das tun auch die Sünder. Und wenn ihr nur denen etwas leiht, von denen ihr es zurückzubekommen hofft, welchen Dank erwartet ihr dafür? Auch die Sünder leihen Sündern in der Hoffnung, alles zurückzubekommen.
Ihr aber sollt eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und leihen, auch wo ihr nichts dafür erhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen. Seid barmherzig, wie es auch euer Vater ist!
Richtet nicht, dann werdet auch ihr nicht gerichtet werden. Verurteilt nicht, dann werdet auch ihr nicht verurteilt werden. Erlasst einander die Schuld, dann wird auch euch die Schuld erlassen werden. Gebt, dann wird auch euch gegeben werden. In reichem, vollem, gehäuftem, überfließendem Maß wird man euch beschenken; denn nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird auch euch zugeteilt werden (Lk 6,27-38).
Jesus spricht hier zu seinen Jüngern. Er hat sie mit einem großen, immateriellen Vermögen ausgestattet. Dieses Vermögen besteht in seiner Botschaft des kommenden Gottesreiches, in der Befähigung zum Glaubenszeugnis, zur Heilung und Vergebung. Dieses Vermögen sollen die Jünger einsetzen. Dabei sollen sie nicht vorsichtig sein. Die Jünger dürfen auch dort geben, wo sie keinen Gewinn erwarten dürfen. Nicht alles, was sie einsetzen, wird sich auszahlen. Nicht jedes Investment wird Gewinn abwerfen. Die Jünger können so handeln, weil ihr Vermögen groß ist, größer, als sie wahrscheinlich meinen.
Ich glaube, das ist kein abstrakter Gedanke. Es handelt sich vielmehr um etwas ganz Selbstverständliches. Menschen handeln intuitiv nach der Logik des Risikokapitals. Sie setzen ihr Vermögen als Wette auf die Zukunft ein: Ich investiere mich selbst und meine Möglichkeiten wie selbstverständlich in menschliche Beziehungen. Das beginnt in der Familie. Die kostbarste Investition in einen anderen Menschen ist Liebe, Zeit, Aufmerksamkeit – in eine Partnerschaft, in Kinder, in Freunde. Und viele würden sagen: Diese Investition hat sich gelohnt. Ich habe weit mehr zurückbekommen, als ich eingesetzt habe. Doch auch hier gilt: nicht jede Beziehung erbringt das. Nicht jedes Risiko hat sich gelohnt.
Menschen investieren ihr Vermögen in eine gute Ausbildung, in ein Ehrenamt, in einen Verein in ein Projekt, in eine politische Tätigkeit. Und viele würden sagen: Diese Investition hat sich gelohnt. Ich habe weit mehr zurückbekommen, als ich eingesetzt habe. Doch auch hier gilt: nicht jede Beziehung erbringt das. Nicht jedes Risiko hat sich gelohnt.
Wir investieren in unsere Gottesbeziehung durch Zeit und Aufmerksamkeit für das Gebet, den Gottesdienst, die Betrachtung. Wir investieren durch Spenden in ein immaterielles Gut, nämlich anderen zu helfen.
Das alles erfordert eine gewissenhafte Auswahl. Das alles bringt aber auch die Gefahr des Scheiterns. Es bleibt immer das Risiko, dass mein Investment nicht aufgeht, oder noch nicht aufgeht. Angesichts des bestehenden Risikos lassen sich zwei Fehler beobachten: Der erste Fehler ist eine große Zögerlichkeit. Weil die Auswahl für die Investition so groß ist, kann ich mich nicht entscheiden, wo ich meine Möglichkeiten einbringen möchte. Ich schiebe meine Entscheidungen immer weiter hinaus. Ich habe Angst, dass mein Vermögen verlorengeht, wenn ich mich falsch entscheide. Ich habe Angst vor dem Risiko. Die Folge ist, dass das Vermögen zum toten Kapital wird.
Der andere Fehler ist der Geiz. Er wird nicht zu Unrecht zu den sieben „Wurzelsünden“ (Todsünden) gerechnet. Der Geiz ist die Fähigkeit, sich abzuschotten. Er resultiert nicht selten aus schlechten Erfahrungen. Weil ich einmal in einer Beziehung enttäuscht wurde, suche ich keine neue. Weil ich in einem bestimmten Beruf nicht glücklich geworden bin, will ich keinen anderen mehr lernen. Weil mein Vertrauen missbraucht wurde, bleibe ich von nun allen Menschen gegenüber misstrauisch. Mein Vermögen bleibt so bei mir, aber es bringt auch keine Frucht mehr. Es ist der Schatz, an dem auf Dauer „Motte und Wurm“ fressen.
Und es gibt noch etwas drittes. Dies ist nicht direkt ein Fehler, sondern eine Tragik. Ich habe den Eindruck, dass es Menschen gibt, die darunter leiden, dass sie ihr Vermögen nicht einbringen können. Geben zu können macht den Menschen glücklich. Ein Investor ohne Investments wird nicht glücklich. Er verschenkt seine Möglichkeiten. Meine Meinung ist, dass es so viel an „Kapital“ gibt, das ungenutzt bleibt, im geistigen, geistlichen und auch materiellem Sinn.
Das Evangelium darf daher als Ermutigung gesehen werden: Ihr seid begabt, ihr seid befähigt, ihr habt Möglichkeiten. Ihr seid im Sinne des Reiches Gottes dazu beauftragt, diese Möglichkeiten einzusetzen, etwas Gutes daraus zu machen. Seid nicht ängstlich. Scheut nicht das Risiko. Investiert. Vertraut darauf, dass das Gute, dass ihr einbringt, auch wieder Gutes hervorbringen wird. Nicht immer, nicht in jedem Fall, nicht bei jeder Gelegenheit. Die erfolgreichen Investoren im Fernsehen wissen das für ihren Bereich sehr gut. Sie streuen ihr Vermögen, lassen ihr Kapital arbeiten. Was für den Bereich des „schnöden Mammons“ gilt, sollte für das Vermögen unseres menschlichen Lebens umso mehr gelten. Gott schenkt uns dieses Leben, damit wir weiter schenken können.
Beitragsbild: Wall Street, New York