Der griechische Dichter Hesiod erzählte über die Erschaffung der Menschen das folgende Märchen: Als die Götter die Menschen machten, schufen sie zunächst ein Menschengeschlecht aus Gold. Die goldenen Menschen hatten keine Sorgen. Sie wurden nicht alt. Sie lebten in Saus und Braus. Doch ihr Geschlecht verschwand und die kommenden Menschen waren aus anderen Metallen. Stückweise ging es so mit den Menschen bergab und sie fanden sich in der Situation wieder, in der sie jetzt sind.[1]
Dieses Märchen nahmen die griechischen Denker auf. Sie vermuteten irgendwann die Wiederkehr der goldenen Menschen und mit ihnen das Eintreffen eines Zeitalters von Sorgenfreiheit, Gesundheit und Wohlstand. Platon ordnete die Idee der unterschiedlichen Metalle den sozialen Rängen der Menschen zu. Die Herrscher sind diejenigen, denen das Gold beigemischt ist. Sie verfügen über einen ontologischen, also seinsmäßigen Unterschied zu den anderen.[2] Es ist diese Vermischung von „Goldenem Zeitalter“ und „Goldenem Menschen“, die über alle Zeitepochen anziehend blieb. Die Hoffnung auf eine Zeit des Friedens und Wohlstands paarte sich mit der Idee des „goldenen Herrschers“, der diese Zeit heraufbringen würde.
Im jüdischen Denken war man überzeugt: Wenn der Messias kommt, der „Goldene“, von Gott selbst Gesandte, dann bricht die goldene Zeit an. Es ist die Endzeit, in der endlich und endgültig Frieden, Gerechtigkeit und Wohlstand, schließlich sogar ewiges Leben für alle sein werden. Ein Vorausbild der Heilszeit, des „Reiches Gottes“ sollte das Gnadenjahr sein, das im Judentum alle 50 Jahre ausgerufen wurde. In diesem Jahr ruhte die Arbeit, wurden die Schulden erlassen und kamen Sklaven und Gefangene frei.
Das Christentum verband die jüdische Apokalyptik mit der Figur des wiederkehrenden Christus. Die Endzeit bringt der aller Welt offenbare Messias. Dieses Denken konnte zeitweilig auch militärische Untertöne bekommen. In einem Hymnus aus dem 19. Jahrhundert heißt es:
Mein Auge sah die Ankunft unseres Herrn in ihrem Ruhm. /Er stampfet aus die Kelter, wo des Zornes Früchte ruhn; / Es blitzt sein schrecklich schnelles Schwert, kündet Unheil bösem Tun: / Seine Wahrheit schreitet fort.
In glatten Stahl graviert die Botschaft klang wie Glockenton: /„Kampf gegen die Verächter findet meiner Gnade Lohn. /Es zermalmt den Kopf der Schlange endlich nun der Menschensohn, / Denn Gott schreitet voran.“
Sein Kommen gleicht dem Strahlen morgendlicher Sonnenpracht, / Den Herrschern Weisheit und den Tapfern Ehre er vermacht. / Sein Reich auf unsrer Erde, es ist endlich nun vollbracht: / Unser Gott marschiert voran.
Dieses Lied vom Kommen Jesu vermischt den Gedanken des Kampfes mit dem Kommen der Endzeit. Es wurde im amerikanischen Bürgerkrieg geschrieben und (man kann sich wundern), es wird sogar noch gesungen. Zuletzt war es prominent am vergangenen Montag zu hören, gesungen von einem Marinechor. Es bildete des Auftakt zur Antrittsrede des neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten, der diese Rede dann auch folgerichtig mit den Worten begann: „Heute beginnt das goldene Zeitalter.“ Mehr als einmal spielte der Präsident darauf an, möglicherweise von Gott gesandt worden zu sein. Er verkündete, das Land zu Wohlstand zu führen, die Not zu beenden, Gefangene freizulassen und schließlich den Frieden zu bringen.
Dieser Messianismus in der Antrittsrede ist gewollt. Er ist mindestens überheblich. Andere würden sagen: Dieser Messianismus ist unverschämt. Er ist blasphemisch.
Wer ist denn der wahre Messias? Und vor allem: Wie ist denn der wahre Messias? Bei seinem Auftreten in der Synagoge von Nazareth (Lk 4) liest Jesus das göttliche Programm des Messias vor. Es stammt aus dem Buch Jesaja:
Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe; damit ich den Gefangenen die Entlassung verkünde und den Blinden das Augenlicht; damit ich die Zerschlagenen in Freiheit setze und ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe. (Jes 61,1f.)
Das Lukasevangelium lässt die Verlesung der Stelle an diesem Punkt enden. Der Jesajatext geht noch weiter. Er spricht dann von der Erhöhung des Volkes Israel, vom Sieg über Feinde des Volkes. Dass dies nicht erwähnt wird, hat einen Grund: Der Messias in der Synagoge von Nazareth ist eben kein Krieger. Seine Sendung geht über das eigene Volk hinaus. Seine Botschaft richtet sich Stück für Stück im Laufe seiner Sendung an alle Menschen.
Frieden und Befreiung gibt es nicht bloß für eine auserwählte Gruppe. Jesus beginnt mit dem Aufbau einer kleinen Gemeinschaft. Seine Lehre soll sich aber dann auf alle Menschen der Welt ausweiten. Das Reich Gottes ist wie der Sauerteig, der langsam das Ganze erfasst und durchsäuert. Gott kommt in einer friedlichen Revolution. Jesus ist ein anderer Messias, als es viele seiner Zeitgenossen erwartet haben:
Die Gerechtigkeit wird bei ihm nicht durch Dekrete verfügt. Das einzige Gebot ist das der Liebe zu Gott und zum Nächsten. Die Gerechtigkeit wächst von innen heraus, in der Anerkennung Gottes und des Nächsten, wer auch immer das in der konkreten Situation sein wird. Der Friede wird nicht durch die Unterwerfung der Feinde geschaffen. Er ist ein Resultat des Sieges über den inneren Feind der Sünde. Der Wohlstand entsteht nicht durch einen Erlass der monetären Schulden, sondern durch das Erlassen von Schuld in der Vergebung und Barmherzigkeit, die auch einen sozialen Ausgleich mit sich bringt.
Das alles wissen die Menschen in Nazareth zu diesem Zeitpunkt noch nicht. Sie stimmen noch nicht die messianischen Hymnen an. An dieser Stelle beginnt die Mission Christi erst. Im Laufe der Evangelien werden wir sie mitverfolgen bis hin zu Kreuz und Auferstehung, in denen sich diese Mission vollendet. Erst im Nachhinein werden die Menschen den Messias erkennen. Unsere Lieder und Hymnen sind daher andere. Das Ende der Geschichte steht noch aus. Das goldene Zeitalter wird ein Zeitalter von Schuld und Vergebung sein, wohlgemerkt, auch meiner Schuld, ein Zeitalter der Liebe, wohlgemerkt, auch meiner Liebe. Das scheinen heutige einige vergessen zu haben.
Wir sind halt nicht Menschen aus Gold. Aber wir sind nicht Menschen ohne Gold. Das Licht des wahren Messias wird dieses Gold zum Leuchten bringen.
Beitragsbild: Eingang des Varusschlachtmuseums bei Osnabrück
[1] Hesiod, Werke und Tage, 105-126.
[2] Platon, Politeia, 415.