Welche Wege? [zum. 2. Advent]

Ein evangelischer Pastor hat vor Kurzem in einem TikTok-Video die Frage gestellt: „Warum ist in der Kirche immer alles so kompliziert?“. Er zeigte eine Zeichnung, auf der drei Worte und zwei Pfeile zu sehen waren. Oben stand „Problem“, dann ein Pfeil nach unten. In der Mitte war „Beratung“ zu lesen und unter dem darauffolgenden Pfeil „Lösung“. So, sagte er, stellt man sich den normalen Weg des Umgangs mit einem Problem vor. In der Kirche sei das anders. Er zeigte eine neue Zeichnung. Oben stand wieder „Problem“ und dann folgten unzählige Pfeile und Worte, die alle aufeinander verwiesen. Die Begriffe auf dem Papier hießen: Gremium, Beratung, Einspruch, Arbeitsgruppe, Kompromiss, Bedenken usw. Das Wort „Lösung“ kam nicht mehr vor. Das Problem war einfach in den Mühlen der kirchlichen Beratung hängengeblieben, ohne, dass es eine befriedigende Antwort geben wird. Zum Glück hat der Pastor von der evangelischen Kirche gesprochen. Bei uns, in der Katholischen Kirche ist es allerdings meist genauso. Und ich vermute, dass auch eine Verwaltung, ein Parlament, ein Verein, eine Bürgerinitiative sich in einem solchen Bild chaotischer Problemlösung wiederfinden würden.

Jetzt hat die Kirche über die Jahrhunderte hinweg eigentlich vor allem ein Problem zu lösen. Dieses Problem ist: Wie kommt das Wort Gottes bei den Menschen an, so dass eine lebendige Beziehung zwischen Gott und Mensch entstehen kann? Angesichts des (positiv gesagt) vielfältigen, man könnte auch sagen, verwirrenden Kirchenbetriebs der 1000 Projekte, Gruppen, Pläne und Aktivitäten gerät diese Grundfrage gerne einmal aus dem Blick. Ich habe einmal in einem Song einer christlichen Band die Songzeile gefunden: „Die Leute heute sind nicht vom Evangelium verwirrt. Sie sind von uns verwirrt. Jesus ist der einzige Weg zu Gott. Das Beste, was wir tun können, ist ihm nicht im Weg zu stehen.“[1] Die Botschaft ist deutlich: Gott wird schon für sich sorgen. Macht ihm den Weg frei, dann erreicht er die Menschen schon.

Das Evangelium des 2. Adventssonntags (Lk 3,1-6) könnte so gedeutet werden. Johannes verkündet das Kommen Gottes. Jedes Hindernis, jeder Umweg soll nun beseitigt werden. Denn er wird selbst zu den Menschen kommen. Er wird selbst mit ihnen sprechen. In Jesus, dem Messias, finden alle Menschen den Weg zu ihm, können sich neu mit ihm verbinden.   

Ganz so einfach ist es dann doch nicht: Es braucht noch die „Stimme in der Wüste“, also einen Boten, der die Menschen auf dieses Kommen vorbereitet und sie sammelt. Johannes wird das Wort Gottes verkünden und auslegen und die Menschen taufen. Er ruft eine Volksbewegung ins Leben, unter der Jesus bei seiner Taufe später dann als Sohn Gottes offenbart wird. Es geschieht das, was zu erwarten ist, sobald eine Idee Wirklichkeit werden soll. Im größeren theologischen Sinn könnten wir sagen, es passiert das, was passieren muss wenn das Wort Fleisch wird – es stößt nicht einfach auf ungeteilte Aufnahme. „Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh 1, 11) – so formuliert es das Johannesevangelium ganz zu Beginn.

Was ist also zu tun? In diesen Tagen läuft im Kino der Film „Konklave“. In ihm geht es, wie zu vermuten ist, um die Wahl des Papstes. Der Film zeigt das Ringen und Diskutieren der Kardinäle. An einer Stelle, als der Kardinaldekan das Konklave eröffnet und vor dem versammelten Kardinalskollegium eine Predigt hält sagt er sinngemäß: „Die größte Sünde, die ich kenne, ist die Gewissheit. Wir müssen nach einem Kandidaten suchen, der noch zweifeln kann.“ Die Aussage ist sehr vieldeutig. Ich finde sie in einer Hinsicht aber durchaus richtig: Die allzu große Gewissheit über den Weg, den Gottes Wort nehmen wird, ist problematisch. Wenn die Gewissheit wahr wäre, dann gäbe es ein Universalkonzept, um Menschen mit Gott und seinem Wort in Berührung zu bringen. Wer zweifelt, der stellt sich auf diesem Weg selbst in Frage. Er traut Gott verschiedene Wege zu, die vielleicht auch nicht seine eigenen wären. Er hält den Raum für das Wirken Gottes in dieser Welt offen und kann auch mit unerwarteten Wegen und Möglichkeiten rechnen. Der Zweifel ist in diesem Sinn eine Selbstrelativierung der eigenen Wirkmächtigkeit angesichts der Größe Gottes.

Die Frage war ja: Wie kommt das Wort Gottes bei den Menschen an, so dass eine lebendige Beziehung zwischen Gott und Mensch entstehen kann? Ich denke, zwei Dinge sind notwendig. Das erste: Das kirchliche Tun und Handeln zu befragen, ob es versucht, in diesem Sinn evangelisierend zu wirken, also zu unterscheiden zwischen wesentlicher und unwesentlicher Arbeit. Die Verbreitung des Gotteswortes und das Entstehen einer Gottesbeziehung kennt verschiedene Wege: Die zentralen sind und bleiben die Heilige Schrift und ihre Auslegung, das Gebet und die Meditation, die Sakramente und die Werke der Nächstenliebe. Das zweite, was notwendig ist: Die Tore und Wege offen zu halten für Gottes Handeln am Menschen und in der Welt. Gott ist dort am Werk, wo ihm die Tore offenstehen. Er kann sich selbst offenbaren. Dies geschieht eben auch in „unklassischer“ Weise: In der Erfahrung von Glück, von Natur oder Musik, in der persönlichen Krise, im Nachdenken über die Fragen der Existenz, im Dialog mit einem gläubigen Menschen. Auch diese Möglichkeiten sind Teil eines kirchlichen Handelns, dass sich zuweilen von seinen klassischen Ausdrücken lösen kann.

Wenn man diese Vielfalt der Zuwege und Möglichkeiten aufzeichnen würde, entstünde ein unübersichtliches Schaubild. Das ist wohl unvermeidbar. Die Wirklichkeit der Menschen und des Menschlichen Lebens lässt sich nicht in einfachen Antworten und Methoden bearbeiten. Die „gerade Straße“ des Evangeliums ist daher wohl zunächst als Appell zu hören. Er sagt: Lasst es zu, dass Gott mit euch gehen und an euch handeln möchte. Schiebt eure manchmal künstlichen Hindernisse weg. Ihr werdet erstaunt sein, was dann geschehen kann.


[1] https://www.youtube.com/watch?v=9k84STAm9Cg

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