In den Vereinigten Staaten von Amerika ist gerne alles etwas größer als in Europa. Das gilt einmal für das Land an sich, dann aber auch für Hochhäuser, Autos oder Essensportionen. In Teilen gilt das auch für die Katholische Kirche. Diese steht, trotz der verheerenden Missbrauchsskandale des letzten Jahrzehnts vergleichsweise immer noch gut da. Die Zahl der Katholiken wächst und ist mit 24% an der Gesamtbevölkerung genauso hoch wie in Deutschland. Die Teilnahme am kirchlichen Leben ist hoch. Auch die Nachwuchszahlen sind gut, wenn es auch in den USA eine Klage über die fehlenden Berufungen zum kirchlichen Dienst gibt. Im Verhältnis zur Katholikenanzahl studieren in den nordamerikanischen Priesterseminaren dreimal so viele Kandidaten wie in Deutschland.

„Think big“ – groß denken. Das haben sich wohl damals auch die Verantwortlichen des Bistums Washington D.C. gedacht, als sie um das Jahr 1920 begannen, auf der grünen Wiese am Rand der City der amerikanischen Hauptstadt ein riesiges katholisches Zentrum zu errichten, mit einer Universität, einem Priesterseminar, Verwaltungs- und Gästehäusern. Zentral aber war der Bau einer neuen Kirche von gewaltigen Ausmaßen, die als Konkathedrale des Bistums dient. Der „National Shrine of the Immaculate Conception“ zählt zu den 10 größten Kirchen der Katholischen Welt. 1959 wurde sie eingeweiht. Im Geist des Jugendstils und mit Anleihen an die romanische Kirchenarchtiktur wurde sie mit Mosaiken ausgestaltet und beherbergt Mariendarstellungen der wichtigsten Wallfahrtsorte aus den Herkunftsländern der Einwanderer, die über die Jahrhunderte nach Amerika gekommen sind. Im Zentrum steht jedoch ein anderes Bild.
Ähnlich wie in den großen römischen Basiliken zeigt die Apsis über dem Hauptaltar einen riesigen Christus. Es ist der Pantokrator – der Herrscher des Alls, der endzeitliche Jesus, der dort zu sehen ist. Es ist Christus, der als Richter der Welt wiederkommt. Diese Darstellung war in der frühen Christenheit sehr beliebt. Und sie war sehr wichtig. In der heidnischen römischen Basilika war in der Apsis der Thron des Kaisers oder Statthalters aufgestellt. In den heidnischen Tempeln stand dort das Standbild der Gottheit, der der Tempel geweiht war. In der christlichen Kirche rückte der Stuhl des Papstes oder Bischofs an diese Stelle. Das Christusbild in der Apsis machte deutlich, wer der wahre Herrscher ist, der die Macht der Gottheiten abgelöst hat und der über der Gewalt des Kaisers oder Papstes steht. Wer unter dem Bild sitzt ist nur ein Diener des Höchsten und wird von diesem genauso gerichtet, wie alle anderen Menschen auch.
Der Christus von Washington ist überaus muskulös. Es ist ein kraftstrotzender Christus, der seine starken Arme zum Segen ausbreitet und mit entschlossenem Blick ins Kirchschiff schaut. Seine Hände tragen die Wundmale. Er wird die gefallene und verwundete Welt, die er kennt und durchlebt hat, in die himmlische Herrlichkeit führen. Er wird für Gerechtigkeit sorgen und verheißt das ewige Leben, in das er selbst eingegangen ist. Die Darstellung lässt keinen Zweifel an der Antwort auf die Frage, die Pilatus dem vor ihm stehenden gefangenen, gefesselten und gegeißelten Jesus stellt (Joh 18,33-37). „Bist du denn ein König?“ Die Antwort Jesu: „Ja, ich bin ein König. Mein Königtum ist nicht von dieser Welt.“
„Think big“ – groß denken. Das haben sich die Schöpfer des Apsisbildes gedacht. Sie zeigen einen Christus, der alle Macht hat, dem alle sich beugen müssen, wie der Philipperbrief es sagt. Ich vermute, manche werden sich an einer solchen Darstellung stoßen. In der Tat sprechen wir von Jesus ja meist anders. Die Verkündigung unser Zeit hebt den menschlichen Jesus hervor, denjenigen, dem man auf Augenhöhe begegnet, der ein guter Freund und Ratgeber sein kann, der schließlich als Leidensmann am Kreuz dem Leiden der Welt und unseres Leben nahe ist. Die Evangelien schildern immer beides. Der menschliche Jesus ist derjenige, durch den die unsagbare Größe Gottes bereits hindurchscheint und erfahrbar wird. Die durch Jesus Versöhnten oder Geheilten werfen sich ihm zu Füßen und preisen Gott, weil sie das erfahren haben. Christus, der König ist immer beides. Menschlich nah und doch groß und von unsagbarer Herrlichkeit.
Dürfen wir von Gott so groß denken? Ich möchte daran erinnern, dass das Christkönigsfest damals eingeführt wurde, um nach den Grausamkeiten des Ersten Weltkriegs den Menschen die wahre Quelle der Herrschaft und der Gerechtigkeit wieder vor Augen zu stellen. Wer auch immer auf der Erde Macht hat, es ist immer eine Macht, die sich vor dem Anspruch Gottes zu rechtfertigen hat. Es ist eine Macht, die zur Rechenschaft gezogen wird, über die in höherer Instanz Recht gesprochen werden soll. Die Macht Gottes ist die Hoffnung der Ohnmächtigen. Schon allein deshalb dürfen wir von Gott „groß denken“. Deshalb ist der Gottesdienst immer auch Lobpreis, Anbetung, Hingabe und Dank. Er ist mehr als ein Nachdenken über das, was wir tun können, auch mehr als ein Bitten in meinen Anliegen und den Anliegen der Welt.
Es ist nicht entscheidend, dass mit ein solcher Christus, wie der in Washington abgebildete gefällt. Es ist aber entscheidend, dass mir Christus gefällt. Er ist „das Alpha und das Omega, der Herr, der ist und der war und der kommt, der Herrscher über die ganze Schöpfung“ (Offb 1,8). Wir dürfen von Gott groß denken.