Die Einheit – eine Erzählung [zum Tag der Deutschen Einheit]

Am 3. Oktober feiern wir die Deutsche Einheit, ein historisches Ereignis. Wir feiern nicht den Tag der Deutschen Einigkeit. Da gäbe es wohl auch wenig zu feiern. Man hat den Eindruck, dass es mit der Einigkeit derzeit nicht weit her ist. Im Gegenteil: Soviel Streit war selten. Es ist erstaunlich, dass in diesen Jahren, eine Generation nach der Wende, unter anderem das Thema „Ost-West“ wieder eine Rolle spielt. Die Erzählungen über Deutschland verändern sich. Bisher stand die Geschichte der friedlichen Revolution im Vordergrund. Die Menschen der DDR, die sich für Freiheit und Demokratie eingesetzt haben, ein Ziel, dass sich mit der Wiedervereinigung erfüllte. Dagegen etabliert sich im heutigen Osten Deutschlands zum Beispiel die Erzählung von der Vereinnahmung der DDR durch den Westen. Statt den neuen Staat von Grund auf neu aufzustellen, habe man allzu voreilig das gesellschaftliche System der BRD übernommen. Der Osten sei dadurch bis heute zu kurz gekommen und werde nicht richtig verstanden. Die Wende müsse daher anders gedeutet werden. Welche Erzählung sich durchsetzt, wird sich zeigen.

Es ist interessant: Wir verstehen unsere Geschichte von solchen Erzählungen her. Wenn diese Erzählungen treffend sind, schaffen sie Gemeinschaft. Wenn wir sie nicht mehr glauben, zerfällt die Gemeinschaft. So ist mit der großen Erzählung des Sozialismus gewesen, die damals zur Zeit der DDR immer weniger Überzeugungskraft besaß. Ein Tag wie dieser will die Erzählung der Gemeinschaft in unserem Land wieder neu beleben. Die Frage ist nur: Reicht die alte Erzählung der Einheitsjahre für die Gegenwart aus, oder sind wir auf der Suche nach einer neuen?

Der heutige dritte Oktober hat uns per Zufall das Evangelium von der Aussendung der Jünger zugelost (Lk 10, 1-12). Sie sind Boten, die ausgeschickt werden, um den Menschen in den Dörfern und Städten eine neue Erzählung nahezubringen. Die Erzählung von der kommenden Herrschaft Gottes war zugleich uralt, wie auch ganz neu. Jetzt, so die Botschaft, würden sich die alten Verheißungen erfüllen. Die Frage der Jünger damals wie heute ist, ob die Menschen, zu denen sie kommen, dieser Botschaft glauben werden. Eine Botschaft ist nur dann überzeugend, wenn sich erfüllt, was sie verheißt. Reich Gottes: Hinter diesem Wort verbirgt sich die Verheißung von Heilung und Vergebung, von Gerechtigkeit und Frieden und von Leben in Fülle. „Reich Gottes“ heißt dann auch, Gott die Initiative zu überlassen, sich ihm anzuvertrauen und durch das eigene Zeugnis und Handeln nach den Maximen des Gottesreiches zu gestalten. Die Botschaft ist dort glaubwürdig, wo sie nicht leer bleibt. Die Menschen wollen das erfahren, Trost, Heilung, Vergebung, Frieden, Gerechtigkeit, ein Leben, das erfüllt ist und in seiner Hoffnung über das irdische Leben hinausweist. Mit diesem Anspruch sind wir als Christen in die Welt ausgesandt, so wie die Jünger damals.

Seit Jahrhunderten sind wir als pilgernde Kirche mit der Botschaft des Gottesreiches unterwegs. Die Botschaft hat sehr unterschiedlich Aufnahme gefunden. Sie wurde auch sehr unterschiedlich gelebt. Aber es gab immer wieder Zeiten, in denen sie enorm kraftvoll und wirkmächtig war. Zu diesen Zeiten gehörte, wie viele Zeitzeugen es berichten, auch die Wendezeit, die eben auch eine christliche Wurzel hat, aus der sie wachsen konnte. Die Erzählung vom Gottesreich hat viele andere Erzählungen überlebt. Sie ist geblieben, durch die Zeiten hindurch.

Für unsere Gesellschaft suchen wir nach neuen Botschaften, die unsere Gemeinschaft stärken können. Wir sind dabei enorm vielstimmig unterwegs. Vielleicht wäre es gut, zumindest für uns Christen, auf die Urbotschaften unseres Glaubens zurückzukehren. Sie haben sich als Korrektiv in schweren Zeiten bewährt. Unsere Botschaft wird angenommen, oder auch nicht. Aber dort, wo sie Widerhall findet, wo sie glaubhaft erfahren wird, hat sie das Potential zu gewaltiger Wirkmacht.

Heute feiern wir die Einheit Deutschlands, ein historisches Ereignis. Es ist gut, sich daran zu erinnern. Aber es ist auch gut, diese heute so herausgeforderte Einheit wieder zu suchen, damit auch künftige Generationen an diesem Tag etwas zu feiern haben. Gott gebe uns und unserem Land dazu seinen Segen.   

Ein Kommentar zu „Die Einheit – eine Erzählung [zum Tag der Deutschen Einheit]

  1. EINHEIT IN FREIHEIT 🇩🇪

    Eine Mauer hat uns getrennt,

    kalter Krieg war omnipräsent.

    Für die Menschen in Ost und West

    ein permanenter Härtetest.

    Ein ganzes Land eingemauert,

    viel zu lange hat’s gedauert.

    Es war nicht mehr zu ertragen,

    man musste den Aufstand wagen.

    Die Ostdeutschen waren es leid,

    allzu groß ihr Drang nach Freiheit.

    Für Reiselust und freie Wahlen

    mussten Regime und Mauer fallen.

    Die Leute aus zwei Systemen

    konnten alle Hürden nehmen,

    haben Grenzen überwunden

    und zueinander gefunden.

    Wir haben uns friedlich vereint,

    vor Glück manche Träne geweint.

    Vierunddreißig Jahre ist’s her,

    nichts kann uns heute trennen mehr.

    Ist auch vieles schiefgelaufen,

    wir werden uns zusammenraufen;

    dabei Fehler nicht ausblenden,

    die Deutsche Einheit vollenden.

    Rainer Kirmse , Altenburg

    Herzliche Grüße aus Thüringen

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