Mal wieder was Einfaches tun [zu Pfingsten]

Unter allen Texten, die zu Pfingsten gebetet oder gesungen werden, ist mir die Pfingstsequenz der liebste. Es ist ein sehr alter Text. Er stammt aus dem Mittelalter. Im Grunde ist es ein Gebet um den Heiligen Geist. Ihm wird die Kraft zugeschrieben, die Dinge zu verändern und zu beleben. Der achte Vers lautet: „Wärme du, was kalt und hart, löse, was in sich erstarrt, lenke, was den Weg verfehlt.“ Dieser Bitte kann ich mich mit voller Überzeugung anschließen. Verhärtung, Erstarrung, Orientierungslosigkeit – das sind für mich Zeichen der Zeit.

Ich will dabei gar nicht so sehr auf die Gesellschaft schauen. Es reicht, wenn ich bei der Kirche bleibe. Ich nehme den aktuellen Zustand so wahr. Die Kirche ist verhärtet, erstarrt und orientierungslos. Selten war soviel Veränderungsdruck. Und selten waren die Antworten darauf so phantasielos. Es gibt derzeit ein großes Zauberwort. Das Wort heißt „systemisch“. Jede Krisenerscheinung wird als eine systemische Krise gedeutet. Das bedeutet: Unsere derzeitigen Organisationsformen, Strukturen, Verantwortlichkeiten, unsere theologischen und rechtlichen Grundlagen funktionieren nicht mehr gut oder führen auf einen falschen Weg. Die Konsequenz heißt: Wir müssen all das umbauen. Dieses Umbauen allerdings führt zu ewigen Prozessen, die uns einschnüren. Dieses Umbauen führt zu neuen, meist zusätzlichen Regelwerken, die mittlerweile immer weniger kennen und einhalten. Wir erfinden neue Arbeitsstandards, neue Gremien, neue Entscheidungsverfahren, die in sich sicher gut gemeint sind, die aber zeitraubend und ineffektiv sind. Im letzten dient dies alles zu einem Selbsterhalt. Es soll weitergehen, möglichst in vertrauten Bahnen, auch dann, wenn die Mittel dazu eigentlich nicht mehr ausreichen. Die sklerotische Erstarrung lähmt uns. Die Angst lähmt uns. Insofern ist die Bitte an den Heiligen Geist nur allzu berechtigt. Was würde der Geist in unserer Situation tun, wenn wir ihn ließen?

Ich will nicht zu schwarz malen. Natürlich gibt es auch unter uns, in der Pfarrei, auch im Bistum immer wieder hoffnungsvolle Zeichen, kleine Aufbrüche, die vielleicht einmal eine große Wirkung haben können, aber das sind meist Dinge, wie zusätzlich geschehen oder leider nur mit halber Kraft.

Vielleicht ist es ganz interessant, einmal zu schauen, wie Neuaufbrüche geschehen. Es gab und gibt zum Glück immer wieder pfingstliche Zeiten, in denen das Erstarrte aufbricht und sich ein neuer Weg eröffnet. Ich möchte einmal ein Beispiel bringen, das mit der Kirche gar nichts zu tun hat.

Vor etlichen Jahren besuchte ich in Paris das Musee d’Orsay. Es beherbergt eine beeindruckende Kunstsammlung mit Bildern, die etwa ab 1870 entstanden sind. In den unteren Räumen sah man große Historienbilder, perfekt gemalte Landschaften, sowie Sagen- und Märchenstoffe. Das waren die Bilder, zu ihrer Zeit mit großen Preisen und Ehrungen bedacht worden waren, die Elite der französischen Kunst der zweiten Jahrhunderthälfte des 19. Jh.. Oben, in den etwas kleineren Räumen waren Bilder, die zur gleichen Zeit entstanden waren, aber damals das Publikum nicht begeistern konnten. Es waren die Bilder der Impressionisten, von Monet, Cezanne, Degas und Manet. Heute gelten diese Bilder als die großen Meisterwerke, die Werke der unteren Etage sind vergessen. Es hatte sich also eine künstlerische Revolution ereignet. Statt der großen Szenen, die in den Malerstudios entstanden, hatten hier ein paar Freigeister etwas gewagt. Sie malten Alltagsszenen aus dem Pariser Stadtleben und sie malten ganz banale Dinge wie Seerosen auf einem Teich, wie Heuschober zu den verschiedenen Tageszeiten, das Meer, einen Bahnhof oder einfach eine Wiese. Sie fingen in ihren Bildern weniger eine Handlung, als vielmehr einen visuellen Eindruck ein. Es war eine vergleichsweise simple Malerei alltäglicher Dinge.

Ich glaube, eine solche Entwicklung ist typisch. Man kann es in der Kirchengeschichte sehen. Die Epochen, in denen sich wirklich etwas bewegt hat, nahmen ihre Impulse aus ganz einfachen Dingen. Es waren so einfache Impulse, wie der gemeinschaftlich zu wohnen und zusammen zu beten, sich bestimmten Notleidenden zuzuwenden, mit der Armut ernst zu machen, die Bibel wieder neu zu lesen, in ferne Welten aufzubrechen, das Leben Jesu zu betrachten, eine bestimmte Gebetsform besonders zu pflegen. Aus solchen kleinen, eigentlich wenig spektakulären Dingen sind große Bewegungen gewachsen. Sie ließen dem Heiligen Geist wohl genug Spielraum, um Dinge in Bewegung zu setzen. Es waren keine systemischen, sondern charismatische Veränderungen, die den Stillstand aufbrechen ließen und neue Richtungen einschlugen.

Bei einem großen Glaubenskongress, den ich in der vergangenen Woche besuchen konnte, gab ein Historiker, der sich selbst als Agnostiker, also als Nicht-Christ bezeichnete, einen wichtigen Hinweis. Er sagte, aus seiner Sicht sollte sich die Kirche davor hüten, mit klugen Worten die Welt retten zu wollen. Sie sollte vor allem eins tun, nämlich, mit den Leuten die Bibel lesen.

Vielleicht ist es manchmal tatsächlich so einfach. Haben wir keine Angst davor, die einfachen Dinge zu tun: Die Messe feiern, das Vater Unser beten, etwas Gutes für den Nächsten tun, die Bibel lesen, miteinander singen oder etwas Ähnliches. Lassen wir das Einfache einmal ruhig auf uns wirken. Machen wir es mit Freude und ohne allzu große Ambitionen. Der Geist kann dort am besten wirken, wo wir ihn nicht durch unsere Ideen lenken möchten. Im 9. Vers der Pfingstsequenz heißt es: „Gib dem Volk, das dir vertraut, das auf deine Hilfe baut, deine Gaben zum Geleit.“ Der Vers ist sehr weise. Er nennt das Vertrauen als Grundlage und die Bereitschaft, sich helfen zu lassen. Der Geist wird schon seine Wirksamkeit entfalten. Man sollte ihm einfach mehr Raum geben.

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