Angenommen, Sie haben ein Anliegen. Sie möchten etwa bei einer Behörde etwas erreichen. Sie stellen zum Beispiel einen Bauantrag. Sie reichen ihre Unterlagen ein. Von nun an müssen sie darauf warten, dass ihr Antrag bearbeitet wird. Nun ist es ja häufig so, dass solche Antworten lange auf sich warten lassen. Wie reagieren Sie?
Die eine Art der Reaktion ist die Gelassenheit: Sie sind sich sicher, dass ihr Antrag wunschgemäß bearbeitet wird. Sie wissen um die manchmal langsamen Mühlen der Verwaltung und bleiben entspannt. Irgendwann wird man sich bei Ihnen schon melden.
Die zweite Art ist die des ungeduldigen Wartens. Sie ärgern sich über die Langsamkeit des Amtes. Jeden Tag schauen sie in Ihren Briefkasten oder in ihr Mailfach. Sie beginnen, sich zu ärgern und schlecht über das Amt zu sprechen. Irgendwann werden Sie es mit Druck versuchen, sich beschweren oder ihre Antwort einfordern, in der Hoffnung, dass es dann schneller geht.
Diese Form des Drucks kann ich auch von Beginn an aufbauen. Dies ist die dritte Art der Reaktion auf die Wartezeit. Weil Sie bereits im Vorhinein befürchten, dass das Amt zu langsam ist oder Sie bereits früher die Erfahrung gemacht haben, dass ohne Druck nichts passiert, schicken Sie die erste Nachfrage nach dem Verbleib des Antrags schon kurz nach dessen Einreichung. Sie wollen wissen, in welchem Status der Bearbeitung er sich befindet, wer der zuständige Sachbearbeiter ist – suchen dort aktiv schon den Kontakt. Sobald gewisse Fristen verstrichen sind, lassen Sie einen Anwalt schreiben usw. – Ihr Ziel ist, dass Ihr Anliegen immer wieder ins Gedächtnis gerufen wird. Sie signalisieren, dass Sie sich nicht abschütteln oder vertrösten lassen.
Dies ist das Verhalten der Witwe im Beispiel, das Jesus seinen Jüngern erzählt. Gerade weil sie weiß, dass der Richter, der ihre Sache zu bearbeiten hat, ungerecht ist – und sie womöglich bereits schlechte Erfahrungen mit ihm gemacht hat – deshalb bedrängt sie ihn so lange, bis er dem Druck nachgibt und zu ihren Gunsten entscheidet. Das ist zwar im objektiven Sinn nicht gerecht, die Witwe aber hat ihr Anliegen durchgebracht.
Jesus verwendet das Beispiel, um über das Beten zu sprechen. Im Grunde möchte er beruhigen: „Habt keine Angst, euer Gebet kommt bei Gott an. Er ist eben nicht ungerecht. Ihr könnt darauf vertrauen, dass er euch hört.“
Dies dürfte uns prinzipiell klar sein. Deswegen sagen einige auch, man müsse seine Bitten im Gebet eigentlich gar nicht äußern, weil Gott ohnehin um uns weiß. Aber dieses Wissen allein stellt viele eben nicht zufrieden. Gerade, wenn ich ein besonders wichtiges Anliegen habe, um Gesundheit, Frieden oder für meine Familie bitte, dann möchte ich, dass mein Gebet Nachdruck hat. Je häufiger und intensiver ich bitte, desto mehr mache ich mir selbst und Gott gegenüber mein Anliegen deutlich.
Im Buddhismus hat man irgendwann die Gebetsmühle erfunden. Sie ist eine mechanische Vorrichtung, die mein Gebet automatisiert weiter fortsetzt. Während ich mich bereits wieder anderen Dingen widme, bleibt mein Gebet so präsent. Im Christentum gibt es ähnliches auch. Ich habe zum Beispiel am großen Wallfahrtsort Fatima gesehen, dass viele Menschen für ihre Bitten Kerzen aufgestellt haben. Das ist nicht ungewöhnlich. Ich habe es natürlich auch gemacht. Die Kerze ist ein solches Symbol. Ich verbinde mein Gebet, meine Bitte mit dem Brennen der Kerze. So lange sie brennt, geht mein Gebet in gewisser Weise weiter, bleibt mein Anliegen in der Welt und wird zu Gott getragen. Jetzt war es aber so, dass es neben den normalen Kerzen auch noch große und noch größere und sogar riesige Kerzen gab, die man am Heiligtum aufstellen konnte. Je größer die Kerze, desto dringlicher das Gebet. (Das mit der Langlebigkeit der Kerze allerdings erfüllt sich so nicht, weil an den Kerzenorten sämtliche Kerzen nach einer gewissen Weile gleichermaßen durch eine Stichflamme mit einem Schlag verbrannt wurden – man hätte sonst nicht genug Platz für sie gehabt).
Offensichtlich ist die im Sinne des Evangeliums auch nicht falsch. Jesus erzählt das Gleichnis ja, weil er damit zum ausdauernden Gebet auffordern möchte. Diese Ausdauer ist ein besonderes Zeichen der Hinwendung, ein menschliches Signal für die Dringlichkeit meiner Anliegen. Wir können Gott durch unser Gebet zu nichts zwingen, allerdings bleibt so unter unseren Bedingungen von Raum und Zeit unser gebetetes Wort mit Nachdruck im Raum. Die Gemeinschaft des Gebetes verstärkt sich.
Ich würde drei Aspekte nennen, die für dieses ausdauernde Gebet sprechen: Das Gebet ist zunächst Einübung in das Sehen und das Wahrnehmen des anderen, darin, dass seine Nöte mir nicht egal sind, sondern dass ich sie aufnehme. Das geht in zweifacher Hinsicht – natürlich im Tun. Aber darüber hinaus gibt es einen Überschuss, den ich nicht selbst erreichen kann, weil mir die Möglichkeiten, die Kraft, die Mittel fehlen. Das sind die Dinge, die ich in das Gebet bringe.
Der zweite Aspekt ist das Vertrauen in Gott. Im Gebet hole ich ihn an meine Seite, vertraue ihm an, was mich selbst bewegt – nicht alleine dastehen, Dinge weitergeben können.
Das dritte Element des Gebets geht noch tiefer. Hier geht es um die Art und Weise, wie Gott handelt. Jesu Leben ist ein Mit-Sein mit uns. Die Erlösung ist nichts, das einfach vom Himmel fällt, sondern sie geht in die Bedingungen des menschlichen Lebens ein. Wir werden in sein Handeln eingebunden. Es ist der Respekt Gottes vor uns. So wird das Gebet zu einem Mit-Wirken an seinem Werk und es bekommt umso mehr Kraft, je größer diese Mitwirkung wird. Wir können Gott nicht zwingen. Er ist souverän. Er kann, wie der Richter im Evangelium selbst entscheiden. Aber er will sich bewegen lassen.
Ich weiß nicht, ob sie das kennen, wie das ist, wenn viele Menschen für Sie beten? Das hat eine unglaubliche Kraft. Eine Kraft, um selbst bestehen zu können. Man kann sich die Wirkung des Gebets nicht erklären, aber es stärkt ungemein. Deswegen der Aufruf, nicht aufzuhören zu beten. Wir sind bei Gott in guten Händen.
Beitragsbild: Opferkerzenverkauf in Fatima (Portugal)