Die magische Tür [zum Weihnachtsfest]

Predigten zum Weihnachtsfest 2024

Am Heiligen Abend

    Meine kindlichen Weihnachtserinnerungen haben mit einer Tür zu tun. Wenn wir am Heiligen Abend gegessen hatten, wurden wir Kinder ins Kinderzimmer geschickt. Die Tür wurde geschlossen – Zeit für das Christkind. Wir mussten gefühlt eine Ewigkeit warten. Hinter der Tür ein leises Rascheln und Schritte. Wir versuchten, durch das Schlüsselloch zu schauen. Irgendwann kam von unten aus dem Wohnzimmer der Klang einer Glocke. Unsere Tür öffnete sich. Der Baum war erleuchtet, wir sangen Weihnachtlieder und es gab Geschenke. Ich vermute, bei vielen von Ihnen wird es Weihnachten nicht anders gewesen sein. Mit der Öffnung der Tür war die lange Zeit des Wartens und Zählens über die Tage des Advents mit einem Mal vorbei. Wir traten in eine gefühlt neue Welt ein.

    Das Motiv der geheimnisvollen Tür gibt es in vielen Märchen und Kinderbüchern. Ich erinnere mich an die „Chroniken von Narnia“ von C.S. Lewis. Dort war es eine Gruppe von Geschwistern, die in einem alten Haus Ferien machten. Es gab einen Wandschrank. Wenn man in den hineinstieg, öffnete sich den Kindern den Weg in eine Märchenwelt, in der sie viele Abenteuer zu bestehen hatten.

    Ich habe manchmal den Eindruck, die Menschen erwarten vom Weihnachtsfest, eine solche Tür zu sein. Der Heilige Abend kommt, es öffnet sich die Tür und alles ist anders. Wer eben noch gestresst war, ist plötzlich entspannt; wer eben noch traurig war, ist jetzt fröhlich; wer sich eben noch gestritten hat, versöhnt sich. Das erfüllt sich meist so dann doch nicht. Die magische Tür hakt ein wenig. Wir bleiben doch irgendwie die gleichen, ob Weihnachten ist, oder nicht. Wir mildern das alles dann gerne etwas ab und sagen: Wer eben noch gestresst war, soll zumindest ein bisschen entspannter sein; wer eben noch traurig war, soll wenigstens ein bisschen weniger traurig sein; wer sich eben noch gestritten hat soll wenigstens für einige Zeit mal den Streit ruhen lassen. Aber ehrlich? Ist das wirklich das Ziel. Was nützt schon „ein bisschen“, wenn doch eigentlich das Ganze gemeint ist.

    Heute Abend hat Papst Franziskus in Rom eine Tür geöffnet. Sie war die letzten 10 Jahre vermauert gewesen. Diese Tür am Petersdom ist die „Heilige Pforte“. Sie gehört zu den Kennzeichen des „Heiligen Jahres“, das jetzt eröffnet wurde. Ist die „Heilige Pforte“ eine magische Tür? Man könnte es glauben. Das Durchschreiten der Heiligen Pforte, so heißt es jetzt, bewirkt einen Ablass, also eine Minderung der Sündenstrafen. Einmal durch die Tür – und alles ist wieder gut? Das klingt märchenhaft, ein wenig zu gewagt. Die Wirklichkeit ist etwas komplizierter. Das Heilige Jahr ist ein Jahr des Pilgerns und auch der Umkehr. Damit nicht alles bleibt, wie es ist, werden wir aufgerufen, uns auf den Weg zu machen, auf einen ganz realen Weg der Pilgerschaft, vor allem aber auf einen inneren Weg. Ich soll bereit sein, in die Abseiten meines Daseins zu schauen, in die dunklen Ecken, mir meiner selbst bewusst werden, ehrlich mit mir sein. Ich soll als ein Mensch durch die Heilige Pforte treten, der sich selbst kennt und nicht überschätzt und zugleich als solcher, der alles von Gott erwarten darf.

    Hinter dem Tor wartet bildlich gesprochen die Gnade. Gnade ist etwas einfaches und zugleich Schweres. Gnade bedeutet, von einem anderen so angesehen zu werden, dass ich mich meiner Schwäche nicht schämen muss. Sie ist ein Licht, dass meine eigene Armeseligkeit von einem hellen Licht beleuchtet wird und zugleich überstrahlt, so dass ich selbst zu leuchten beginne.

    Als Jesus zur Welt kam, war alles armselig. Wer hätte sich schon mit einer Stallgeburt abgegeben, einem Menschen, der im Schmutz und Gestank zur Welt gekommen ist, dessen Geburtsgäste Pöbel vom Feld gewesen sind, einem prekären Menschen? Das Licht spielt in der Weihnachtserzählung eine zentrale Rolle. „Der Glanz umstrahlte sie“, heißt es. Das Licht fällt auf die Armseligkeit des Stalls. Und auf einmal wird alles schön, weil in der Armut der ganze Reichtum offenbar wird. Gottes Sohn, geboren in die Armut und Dunkelheit. Die Tür hat sich geöffnet, Himmel und Erde sind miteinander verbunden.

    So halten wir Gott heute unsere eigene Wirklichkeit hin, mit allem, was da ist, mit Traurigkeit, Unruhe, Sorgen, Ungenügen, Ärger, Streit und Verzweiflung. Die Tür öffnet sich, um all das zu sehen und es zugleich zu überstrahlen. Du musst dich nicht schämen. Das Licht fällt auf die Armseligkeit des Stalls. Und auf einmal wird alles schön. Und aus dem schön soll ein „wahr“ werden. Und aus dem „wahr“ ein „gut“.

    Am Weihnachtsfest

    Das prägende Ereignis der letzten Tage, das die Gemüter bewegt, ist sicher der furchtbare Anschlag in Magdeburg. Angesichts des Leides und der Fassungslosigkeit des Geschehenen, wurde einer der leitenden Sicherheitsverantwortlichen mit dem Satz zitiert: „Für uns ist Weihnachten dieses Jahr vorbei.“ Ich kann den Satz gut verstehen. Wie soll man ein frohes und schönes Fest feiern, wenn einem so gar nicht danach ist? Und dennoch stimmt der Satz nicht ganz. Er stimmt nicht, wenn ich Weihnachten von seinem Ursprung her ernst nehme.

    Ich habe manchmal den Eindruck, viele Menschen denken vom Weihnachtsfest, es sei so etwas, wie ein gegenweltliches Fest. Weihnachten setzt uns unter moralischen oder emotionalen Druck. Der Heilige Abend kommt und alles ist anders. Wer eben noch gestresst war, ist plötzlich entspannt; wer eben noch traurig war, ist jetzt fröhlich; wer sich eben noch gestritten hat, versöhnt sich. Das erfüllt sich meist so dann doch nicht. Wir bleiben doch irgendwie die gleichen, ob Weihnachten ist, oder nicht. Unsere Welt bleibt gleich, ob Weihnachten ist oder nicht. Wir schrauben unsere Erwartungen an das Fest dann gerne etwas herunter. Wir sagen: Wer eben noch gestresst war, soll zumindest ein bisschen entspannter sein; wer eben noch traurig war, soll wenigstens ein bisschen weniger traurig sein; wer sich eben noch gestritten hat soll wenigstens für einige Zeit mal den Streit ruhen lassen. Aber ehrlich? Ist das wirklich das Ziel. Was nützt schon „ein bisschen“, wenn doch eigentlich das Ganze gemeint ist?

    Genau in dieser Spannung steht die Geburt Christi von Beginn an. Der Anfang des Johannesevangeliums spricht das deutlich aus. Der Text sieht die Welt kritisch. Auf der Erde ist Finsternis. Diese Finsternis ist bei Johannes natürlich zunächst eine geistliche Finsternis, ein Nicht-Erkennen und Nicht-Glauben. Ich denke, wir dürfen die Finsternis aber durchaus weiter verstehen, als eine Finsternis auch der menschlichen Abgründe. Gegen die Finsternis steht das Licht. Christus wird geboren. Gott möchte die Finsternis vertreiben. Aber dann heißt es: „Das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, kam in die Welt, aber die Welt hat es nicht erkannt.“ (Joh 1,9) Das Licht setzt sich nicht durch, oder zumindest, es setzt sich noch nicht durch. Gott wird ja nicht Mensch, weil die Welt gut ist. Er wird Mensch, weil die Welt eben nicht gut ist. Er wartet nicht, bis alle Menschen sich freuen. Er kommt in dem Augenblick, als sie traurig sind. Sie könnten das Licht sehen, sie könnten sich daran aufrichten, sie könnten sich neu mit Gott verbinden. Aber dann heißt es später im Evangelium: „Die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht.“ (Joh 3, 19) Dieser Satz ist leider sehr wahr. Er ist die Grundentscheidung des Weihnachtsfestes, wie Johannes es schildert. Es gibt einen fatalen Hang, schlechte Nachrichten wichtiger zu nehmen als gute. Es gibt einen fatalen Hang dazu, zu verzweifeln, eine Art depressive Grundstimmung. Es scheint sehr attraktiv zu sein, auf das Schlechte, was geschieht mit Wut und Ohnmacht zu reagieren, das Schlechte mit Schlechtem bekämpfen zu wollen. Abyssus abyssum invocat – Ein Abgrund ruft nach dem Abgrund (Ps 42,9) – so steht es in den Psalmen.

    Weihnachten, die Menschwerdung Gottes meint zunächst die Eröffnung einer anderen Option, nämlich der, das Licht mehr zu lieben als die Finsternis. Das ist eine Option des Glaubens an die Macht Gottes.  

    Gestern hat Papst Franziskus in Rom eine Tür geöffnet. Sie war die letzten 10 Jahre vermauert gewesen. Diese Tür am Petersdom ist die „Heilige Pforte“. Sie gehört zu den Kennzeichen des „Heiligen Jahres“, das jetzt eröffnet wurde. Das Heilige Jahr ist ein Jahr des Pilgerns und auch der Umkehr. Damit nicht alles bleibt, wie es ist, werden wir aufgerufen, uns auf den Weg zu machen, auf einen ganz realen Weg der Pilgerschaft, vor allem aber auf einen inneren Weg. Ich soll bereit sein, in die Abseiten meines Daseins zu schauen, in die dunklen Ecken, mir meiner selbst bewusst werden, ehrlich mit mir sein. Ich soll die Finsternis wahrnehmen, aber nicht, um sie zu lieben, sondern um ihr eine andere Kraft entgegenzusetzen. Das Heilige Jahr hat das Motto: „Pilger der Hoffnung“. Ein gutes Wort für unsere Zeit. Ich darf mich als ein Mensch verstehen der alles von Gott erwarten darf, der damit das Licht ernst nimmt.

    Weihnachten ist eben auch, wenn uns nicht nach Weihnachten zumute ist. Im Grunde ist Weihnachten sogar dafür da. Das Fest verkündet die große Hoffnung, die sich nicht mit „ein bisschen“ zufrieden stellen lässt. Es geht nicht um ein paar Tage fröhlichen Ausnahmezustands, sondern um das ehrliche Schauen auf unseren Zustand. Das wahre Licht kommt in die Welt. Die Herausforderung ist geblieben: Werden wir es schaffen, das Licht mehr zu lieben als die Dunkelheit? Sind wir Pilger der Verzweiflung oder der Hoffnung?

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