Haben Sie schon einmal daran gedacht, in ein „tiny house“ umzuziehen? Dabei handelt es sich um ein transportables Mini-Haus, im Grunde um ein etwas komfortableres Wohnmobil. Diese Häuser liegen im Trend. Man rechnet derzeit mit einem Marktpotential von gut 4 Milliarden Euro allein in Deutschland. Wer an ein Leben im „tiny house“ denkt, mag wirtschaftliche Vorteile im Kopf haben. Im Kern geht es aber um etwas anderes: Es geht um ein Glücksversprechen. Manchmal ist weniger mehr – so denken offenbar gar nicht so wenige. Es geht nicht darum, Besitz anzuhäufen, sondern aus der Spirale einer sich immer schneller bewegenden Konsumgesellschaft auszusteigen. Von der Beschränkung des Besitzes auf das Nötigste erhoffen sich viele, zu größerer innerer und äußerer Beweglichkeit zu kommen, mehr Freiheit und damit mehr Unabhängigkeit zu gewinnen. Tatsächlich darf man ja fragen, was den Menschen glücklich macht – mehr oder weniger Besitz?
Die Brüder Grimm haben das Märchen von „Hans im Glück“ aufgeschrieben. Es verhandelt genau dieses Paradox des Glücks: Ein junger Mann, Hans, hat seine Lehrzeit abgeschlossen. Als Entlohnung erhält er einen Klumpen Gold. Das ist nach der Logik des Marktes das Startkapital, mit dem Hans sich nun seine eigene Existenz aufbauen könnte. Er ist vom Besitzlosen zu einem Besitzenden geworden. Doch der Klumpen Gold drückt ihn schwer. Und so entscheidet er sich, sein Kapital einzusetzen. Er tauscht den Klumpen Gold gegen ein Pferd, weil ihm so das Fortkommen bequemer erscheint. Doch das Pferd wirft ihn nach einer Zeit des Reitens ab. Er tauscht es bei einem Bauern gegen eine Kuh. Die scheint ihm genügsamer. Doch als er die Kuh melken möchte, stellt er sich so ungeschickt an, dass er keine Milch aus dem Euter bekommt. Er tauscht sie daher gegen ein Schwein, später das Schwein gegen eine Gans und die Gans gegen einen Schleifstein, der ihm von einem Scherenschleifer aufgeschwatzt wird. Hans trägt nun also den schweren Stein. Als er erschöpft ist, setzt er sich an einen Brunnen. Doch er ist ungeschickt. Der Stein fällt in den Brunnen. Dann endet das Märchen mit den Worten:
„Hans, als er sie mit seinen Augen in die Tiefe hatte versinken sehen, sprang vor Freuden auf, kniete dann nieder und dankte Gott mit Tränen in den Augen, dass er ihm auch diese Gnade noch erwiesen und ihn auf eine so gute Art, und ohne dass er sich einen Vorwurf zu machen brauchte, von den schweren Steinen befreit hätte, die ihm allein noch hinderlich gewesen wären. ‚So glücklich wie ich,‘ rief er aus, ‚gibt es keinen Menschen unter der Sonne.’“
Was soll man von diesem Märchen halten? Es ist sehr doppelbödig. Zum einen präsentiert es uns im Hans einen Narren, der sein Kapital durch seine Ungeschicklichkeit verschleudert und am Ende als Betrogener ohne Eigentum dasteht. Man könnte über ihn lachen, ein solcher Narr, wie er gewesen ist. Das ist aber nicht alles. Das Märchen erzählt eben auch die Geschichte eines glücklichen Menschen, der in dem Augenblick wieder er selbst geworden ist, als er seinen Besitz, der ihn unglücklich gemacht hat wieder loswurde. Das Märchen behauptet, dass es eben nicht nur eine Logik auf der Welt gibt, sondern mehrere.
Damit ist ein erstaunlich christliches Programm beschrieben, wie es sich etwa auch bei den Seligpreisungen des Evangeliums finden lässt.[1] Was in der Logik der Welt zum Glück (zum Seligsein) führt, ist keineswegs das Einzige, was zum Glück, oder auch zum Heil notwendig ist. Es gibt eine Paradoxie des Glücks, die in den Worten der Nachfolge, des Aufgebens, des Verlassens, die sich im Evangelium reihenweise zu finden sind. Man darf das nicht falsch verstehen: Armut ist für viele eine Wurzel des Unglücks. Die Pointe des Evangeliums ist vielmehr, dass das Glück eines erfüllten Lebens nicht als erstes an der Frage des Besitzes und des Vermögens hängt.
Die Heiligen, an die heute erinnert wird, haben meist ein solches paradoxes Dasein geführt. Die Heiligenbiografien enden selten damit, dass die Frauen und Männer, an die wir heute erinnern, durch ihr Wirken reich und mächtig geworden sind. Sie enden aber damit, dass sie ihre „Seligkeit“ in Gott gefunden haben. Therese von Lisieux etwa, eine der großen Heiligen des 19. Jahrhunderts, hat daraus ein eigenes geistliches Programm gemacht. Sie entdeckte das Geschenk der ungeschuldeten Liebe Gottes. Wir werden als Menschen geliebt, für das was wir sind. Therese nennt sich selbst eine „kleine Seele“, empfindet ihr Dasein als im weltlichen Sinne unbedeutend. Zugleich fühlt sie sich gerade so umfangen und getragen von einer unendlichen Liebe Gottes. Die „kleine Seele“ ist eine sehr glückliche Seele.
Es gibt in der Geschichte des Christentums zahlreiche solcher Persönlichkeiten. Die Ostkirche etwa verehrt den Heiligen Andreas den Narren. In seiner Legende werden die beiden Logiken des Glücks bildlich dargestellt. So habe Andreas die Vision einer geteilten Welt gehabt, eines himmlischen und eines dämonischen Bereiches. Ein Engel habe ihm aufgetragen, als Narr für Gott zu wirken und so Gott zu dienen. So lebte Andreas bei Tag als ein Mensch, der nicht nur den menschlichen Besitz, sondern auch die menschlichen Konventionen abgelegt hatte und als Narr aller menschlichen Logik entgegen handelte. Bei Nacht aber habe er als tiefer Mystiker gelebt und in einem unglaublichen Ernst die Geheimnisse Gottes ergründen und verstehen können. „Das Törichte in der Welt hat Gott erwählt“ (1Kor 1,27) – Dieses Pauluswort findet in der Legende des Andreas einen biografischen Ausdruck. Vertrauen sie also nicht zu sehr dem „Tiny house“. Es ist wieder ein Besitz, aber kein Garant für das, was Sie glücklich machen kann. Das Allerheiligenfest setzt ein Fragezeichen an unsere Glücksvorstellungen. Der Kern des Glücklichseins, so zeigt es das Beispiel so vieler Heiligen, ist etwas ganz einfaches: Zu wissen und zu erkennen, dass ich von Gott geliebt bin, dass ich niemals zu gering für seine Liebe bin. Das klingt ganz einfach. Es ist aber häufig erst das Ergebnis eines langen Weges und einer langen Suche. Vielleicht kann das heutige Fest dazu wieder neu herausfordern.
Beitragsbild: Heiligenfenster in der Kathedrale von Toledo
[1] Es scheint mir auch so, dass sich das Märchen vom Hans im Glück auch davon hat inspirieren lassen und das christliche Lob der Besitzlosigkeit parodiert – allerdings nicht, ohne ihm einen doch nachklingenden Ernst zu lassen.