Jede Woche können wir im „Tatort“ den Fernsehkommissaren bei der Lösung komplizierter Mordfälle zuschauen. Zentral ist dabei immer die Frage nach dem Motiv. „Motiv“ kommt vom lateinischen „movere“ und meint „etwas, das mich bewegt“. Geschah das Verbrechen im „Tatort“ aus Rache, aus Eifersucht oder Hass? In einem großen Teil der Fernsehfälle geht es aber schlicht um Geld. Wer profitiert vom Tod des Opfers? Die Ermittler stoßen während ihrer Recherche auf verborgene Geldströme oder bislang unentdeckte Testamente. Das Geld wird zum Schlüssel, um den Mordfall aufzuklären.
Auch in politischen Fragen gilt investigativen Journalisten der Grundsatz „Follow the money“ („folge dem Geld“) als Schlüssel zur Aufdeckung von Skandalen oder Aufklärung von politischen Entscheidungen. Das Geld wird also als ein Triebmittel menschlicher Entscheidungen angesehen. Dies gilt im Negativen, wie im Positiven: Die Entscheidung für eine neue Arbeit hängt nicht selten an der Frage des Verdienstes. Das Geld erklärt also das menschliche Handeln. Es ist ein Motiv für viele Entscheidungen.
Das Sonntagsevangelium erzählt von dem reichen jungen Mann, der zu Jesus kommt und ihn um einen Rat bittet (Mk 10,17-30). Er möchte ein gutes und gottgefälliges Leben führen. Jesus nennt ihm den Weg der Gebote. Das reicht dem jungen Mann nicht. Er möchte es noch besser machen. Daraufhin gibt Jesus ihm den Rat, alles, was er hat zu verkaufen, den Erlös zu verschenken und Jesus nachzufolgen. Daraufhin wendet sich der Mann ab. Er ist zu reich, um seinen Besitz aufzugeben. Es macht den Eindruck als verurteile Jesus im Evangelium das Geld. Ich würde diese Schlussfolgerung offen lassen. Es scheint doch eher so, dass Jesus die Bindungen, die der Besitz mitbringt, eine gewisse Unfreiheit mit sich bringen, die den Reichen an der Nachfolge hindert. Man könnte sagen: Jesus möchte hier das Geld als Motiv des Handelns ausschließen.
Es gibt in der Kirchengeschichte einen Fall, der das Evangelium vom jungen Mann fast wörtlich nachbildet – wenn auch mit anderem Ausgang. Um das Jahr 1207 wurde in Assisi ein Rechtsstreit zwischen einem reichen Kaufmann, Pietro Bernadone und seinem Sohn Giovanni geführt. Dieser hatte eine fromme Bekehrung hinter sich. Er kümmerte sich um den Aufbau eines verfallenen Kirchleins in der Nähe seiner Heimatstadt. Dazu verwendete er Geld aus dem Familienbesitz. Der Vater wehrte sich dagegen. Es kam zum Streit und zu einem Prozess. Es wird berichtet, wie der junge Giovanni, damals gut 20 Jahre alt, bei diesem Anlass seine teuren Kleider auszog und sie seinem Vater zu Füßen legte. Er sagte dabei, dass er von nun an nur noch seinem Vater im Himmel dienen wolle. Der Rest ist Geschichte. Der junge Mann mit dem Spitznamen Franziskus begann, ein Leben in radikaler Armut zu führen, sammelte um sich eine Gemeinschaft und zog als Prediger durch die Lande.
Wenn sich ein heutiger Ermittler auf die Suche nach einer Erklärung für den Fall „Franziskus“ machen würde, welches Motiv für sein Handeln würde er vermuten? Den Streit mit dem Vater, ein Anflug von Größenwahn? Das kann für den Anfang der Geschichte durchaus stimmen. Eins können die Ermittler mit Sicherheit ausschließen. Geld spielt in diesem Fall keine Rolle. Die Szene in Assisi ist eine symbolische und dann auch reale Lossagung von jedem Vermögen als Motiv des Handelns. Franziskus erzählt die Geschichte des jungen Mannes aus dem Evangelium weiter und gibt ein Beispiel, was hätte geschehen können, wenn der Mann den Ratschlag Jesu befolgt und sein Vermögen verkauft hätte. Als Motiv des Handelns bleibt dann tatsächlich nur noch übrig: Gottesliebe und Nächstenliebe. Was für ein merkwürdiges und offensichtlich seltenes Motiv.
Was also treibt einen Menschen an, Entscheidungen in seinem Leben zu treffen? Es ist längst nicht immer das Geld. Es gibt weitaus ehrenwertere Motive: Die Liebe zur Familie, der Wunsch, die Welt zu verbessern, die Gesellschaft zu gestalten, etwas Künstlerisches zu schaffen, etwas Immaterielles zu erreichen. Vor solchen Motiven schütteln viele den Kopf: Wie kann man freiwillig so mit seiner eigenen materiellen Absicherung umgehen? Ist das nicht leichtsinnig? Was aber aus Liebe, aus Passion geschieht, kann große Wirkung haben. Es kann etwas Gutes daraus entstehen.
So sieht es wohl das Evangelium, wenn es von „Nachfolge“ spricht. Es meint eine unabhängige Bewegung eines Menschen aus Glauben, Hoffnung und Liebe. Diese kann in den Augen der Welt als leichtsinnig oder gefährlich gelten. Das Motiv ist gut. Das heißt noch nicht, dass das Ziel auch erreicht wird. Zu leicht können sich andere Motive in das Ideal einer reinen Nachfolge mischen. Papst Franziskus hat davor immer wieder gewarnt, wenn er von Motiven wie Geltungssucht, Überlegenheitsgefühl, sozialem Aufstieg oder schließlich auch von Macht und Einfluss spricht. Wo es glückt, kann aus der „Nachfolge“ allerdings etwas Großes und Erstaunliches entstehen, etwas, dass die Vorstellungskraft so vieler übersteigt.
Insofern darf ich auch gerne immer wieder als Ermittler in eigener Sache tätig werden. Was treibt mich an, dieses oder jenes zu tun? Ist mein Motiv gut, oder führt es zu Schwierigkeiten, ist es lauter oder verfälscht? Das Evangelium stellt mich an die Stelle des jungen Mannes. Was würdest du tun? Wonach suchst du? Woran hängt dein Herz?