Die Olympische Eröffnungsfeier von Paris und die große Aufregung

Der große Aufreger der Olympischen Spiele ist seit Tagen weniger die Dopingdiskussion um chinesische Schwimmerinnen. Vielmehr wird über die Pariser Eröffnungsfeier diskutiert. Wen ich auch in diesen Tagen treffe – irgendwann kommen wir auf dieses Ereignis zu sprechen. Schon kurz nach der Übertragung äußerte sich die französische Bischofskonferenz und kritisierte, dass sich viele Christen durch Elemente der Eröffnungsfeier verletzt gefühlt hätten. Zudem explodierte das Internet. Freunde der Verschwörungstheorien entdeckten in der Feier allerhand Hinweise auf satanische Rituale und apokalyptische Symbolik.

Anstoß erregten die Szenen, in denen die geköpfte Marie Antoinette gezeigt wurde, die symbolisch für die Ablösung des Ancien Regime, der Königsherrschaft durch die Französische Revolution steht. Die weiteren Grausamkeiten der Terrorherrschaft im Anschluss an die Revolution und schließlich die napoleonische Diktatur, die ganz Europa in ein gewaltiges Schlachtfeld verwandelte, wurden allerdings darstellerisch ausgespart, ebenso die Weltkriege und die Kolonialkriege, deren Erbe weiter wirksam sind – fragen Sie einmal Afrikaner nach der französischen Politik in den ehemaligen Kolonialgebieten.

Die zweite Szene, die die Gemüter erhitzte, war die Darstellung einer Versammlung von queerem Partyvolk, die bewusste Anleihen bei der Darstellung des Letzten Abendmahls von Leonardo da Vinci nahm. Jesus war hier eine lesbische Showgröße aus der französischen Unterhaltungswelt. Diese Abendmahlsgemeinschaft wohnte einer Modenschau mit allerhand expliziter sexueller Aufladung, vornehmlich unter dem Zeichen der Regenbogenflagge bei. Auf deren Höhepunkt präsentierte sich unter einer Speisenabdeckung ein fast nackter Bacchus, der Gott des Weines und der Rausches. Erinnert wurde hier möglicherweise an den Ursprung der antiken Spiele aus den Bacchanalien, den hedonistischen Partys der alten Griechen. Olympia wird also zur exzessiven Fete.

Dann galoppierte ein mechanisches Pferd mit einer verhüllten Reiterin über die Seine. Als ich die Szene sah, assoziierte ich alte Pestgemälde, bei denen der Tod auf fahlem Ross durch die Stadt reitet – was wiederum eine Anspielung auf die apokalyptischen Reiter der biblischen Offenbarung des Johannes ist. Intendiert war wohl die Darstellung der keltischen Flussgöttin Sequana, die für den Fluss Seine steht. Diese wird allerdings traditionell in einem Schiff und nicht auf einem Pferd dargestellt.

Und schließlich erschien auf der Bühne, auf der ein bedauernswertes Orchester ungeschützt im strömenden Regen spielen musste, auch noch das Bildwerk eines goldenen Stierkopfes und Kalbs. Letzteres ist leicht zu erklären. Die Bühne stand auf dem Hauptplatz des Trocadéro, einer im 19. Jahrhundert angelegten Parkanlage am Eiffelturm. Dort stehen zwei Brunnen. Der eine zeigt die Skulptur besagten Kalbs und Rinderkopfs, der andere die von Pferdeköpfen. Man hatte für die Bühne schlicht den Brunnen umbaut. Es ist also eher ein ironischer Zufall, dass hinter den Honoratioren des IOC (Olympische Komitee) das „Goldene Kalb“ als Symbol des Macht- und Geldstrebens zu sehen war.

Mit etwas Abstand betrachtet, sind die einzelnen Showteile erklär- und deutbar. Die satanische Unterwanderung der Spiele ist ein Verschwörungsmythos. Man sollte auch darauf hinweisen, dass die Kritik der Französischen Bischöfe sehr ausgewogen war. Im Wortlaut heißt es:

„Wir glauben, dass die Werte und Prinzipien, die durch den Sport und die Olympischen Spiele zum Ausdruck gebracht und verbreitet werden, zu diesem Bedürfnis nach Einheit und Brüderlichkeit beitragen, das unsere Welt so dringend braucht, mit Respekt vor den Überzeugungen aller, rund um den Sport, der uns zusammenbringt und dazu beiträgt, den Frieden der Nationen und Herzen zu fördern. Die vom COJOP gestern Abend organsierte Eröffnungszeremonie bot der ganzen Welt wunderbare Momente voller Schönheit, Freude, reich an Emotionen und wurde allgemein gelobt. Diese Zeremonie beinhaltete leider Szenen der Verspottung des Christentums, was wir zutiefst bedauern. Wir danken den Angehörigen anderer Religionsgemeinschaften, die uns ihre Solidarität zum Ausdruck gebracht haben. Heute Morgen denken wir an alle Christen auf allen Kontinenten, die durch die Exzesse und Provokationen bestimmter Szenen verletzt wurden. Wir möchten, dass sie verstehen, dass die olympische Feier weit über die ideologischen Vorurteile einiger weniger Künstler hinausgeht. Sport ist eine wunderbare menschliche Aktivität, die die Herzen von Sportlern und Zuschauern zutiefst erfreut.“[1]

Zentrales Element der christlichen Kritik ist die erwähnte „Abendmahlsszene“.[2] Im Grunde handelt es sich dabei um eine bereits etwas abgeschmackte und fade Provokation. Das ikonische Bild da Vincis ist schon in allen möglichen Variationen neu interpretiert und umgestaltet worden. Die „queere“ olympische Variante ist dabei noch nicht einmal die ärgste. Ob so etwas notwendig ist, ist eine ganz andere Frage. Man braucht nicht jede Großveranstaltung zu einer Pride-Parade machen. Die offensichtliche obligatorische Zurschaustellung sexueller Vielfalt muss auch keine religiösen Züge tragen. Sie muss auch nicht gegen das Christentum polemisieren – sofern das gewollt war. Man hatte mit den Tänzerinnen des „Moulin Rouge“ doch schon auf die Pariser Party-Kultur aufmerksam gemacht. In diesem Zusammenhang hätte doch auch die queere Szene ihren Auftritt haben können. Was mich dabei zusätzlich ärgert ist, dass „sexuelle Vielfalt“ hier in einer hedonistische Variante für reiche Leute präsentiert wird. Die Oberschicht in teuren Klamotten hat es leicht, „vielfältig“ zu sein. Die Repräsentanz einer ganzen Bevölkerung wird hier zugunsten der Präsentation von Randgruppen (und auch der olympischen Sportler, die bei der eigentlichen Show nur die Rolle von vorbeifahrenden Touristen einnahmen) verschoben. Für eine Repräsentanz der französischen Vielfalt hätte man gerne auch die Kids aus den Pariser Vororten in die Feier einbinden können oder die Bauern aus der Auvergne. Man hätte sogar mit Notre Dame das zentrale Gebäude des mittelalterlichen Paris mit in Szene setzen können. Ausgiebig präsentieren durften sich nur wenige.

Das alles sind künstlerische Entscheidungen, über die sich viele Menschen ärgern. Dabei geht es, glaube ich, nicht in erster Linie um religiöse Gefühle. Es geht schlicht um die Frage, welches Selbstbild ein Land wie Frankreich, das außerhalb Europas als Repräsentant des „Westens“ gelesen wird, von sich geben möchte. Man kann sich die Reaktionen von Zuschauern in Afrika, China oder Saudi-Arabien lebhaft vorstellen. Diese Provokation ist offenbar gewollt.

Wie es geht, eine olympische Eröffnungsfeier zu organisieren, die kritische und politische Themen anspricht und trotzdem allen Spaß macht, hätte man sich von London 2012 abschauen können. Es war etwas zu sehr gewollt, vom bisherigen Muster von olympischen Eröffnungen abzuweichen. Zu den großen Albernheiten gehört es auch, erst monatelang eine Feuerfackel durch die Welt zu tragen, um sie dann bei der „Entzündung“ der zentralen Flamme in Paris auszulöschen. Stattdessen „brennt“ jetzt in ein Fake-Feuer aus Licht und Wasserdampf – ein Beitrag zum Klimaschutz, wie einige aufmerksame Reporter gleich vermerkten. Am Ende der Eröffnungsfeier gab es dann immerhin dann doch noch den großen Moment. Auf einer Plattform des Eiffelturms sang Celine Dion (ganz als Frau ohne Bart) ein Chanson von Edith Piaf. Ich hoffe einmal, dass dieser Moment nach all dem Ärger und der Aufregung im Gedächtnis bleibt.         


[1] Réaction de la Conférence des évêques de France et Holy Games au sujet de la cérémonie d’ouverture des Jeux olympiques de Paris 2024 – Église catholique en France

[2] Hierzu der gute Beitrag von Johannes Hartl: Olympia: Die Verhöhnung des Christentums | Hartls Senf #22 (youtube.com)

7 Kommentare zu „Die Olympische Eröffnungsfeier von Paris und die große Aufregung

  1. sehr geehrter Propst Dr. Bergner,

    nach diesem Beitrag bin ich doch etwas irritiert. Haben nicht die Veranstalter darüber informiert, dass die Szene nicht das Abendmahl darstellt und das angesprochene Bild Leonardo da Vincis nicht als Vorlage dient. War nicht die ganze Aufregung umsonst? Also gut, Geschmack ist natürlich Ansichtssache und die Szene hat mir nicht gefallen. Herzliche Grüße

    Thomas Hoffmann

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  2. Tja, das scheint nicht ganz eindeutig zu sein. Offensichtlich hat der Künstler selbst sich im Vorfeld anders geäußert und den Abendmahlsbezug hergestellt. Ich habe die Belege dafür aber nicht gefunden. Die Aufregung entsteht ja dadurch, dass die Szene als Bezug gelesen wurde – und ganz zufällig ist das sicher auch nicht der Fall. Ich würde allerdings den Machern nicht unterstellen, dass sie hier das Christentum lächerlich machen wollten. Es ist aus ihrer Sicht wohl eher ein ästhetisches Spiel.

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  3. Danke für den Hinweis auf das Video von Johannes Hartl. Wirklich sehenswert. Übrigens widmet sich ein Beitrag in der aktuellen August-Ausgabe der Jüdischen Rundschau dem Thema mit dem Titel: „Olympische Spiele in Frankreich: Hinter der Verhöhnung der westlichen Werte steckt eine zerstörerische Ideologie“, von Filip Gaspar, der auch die aktuelle christlich-jüdische Situation und deren Zukunft in Europa betrachtet. Ich glaube auch, es geht um viel mehr als um Kunst. Die Diskussion um die Freiheit der Kunst ist nur die Dekoration, hinter der sich etwas anderes zeigt, auch wenn man geneigt ist, diese Erkenntnis verdrängen zu wollen. Interessant ist die Reaktion des fundamentalistischen Islam, dessen Solidarität mit dem Christentum erwähnenswert ist. So spricht der oberste Führer des Mullah-Regimes im Iran, Ayatollah Chamenei davon, dass man die Abbildung Jesus Christus als „anstößig“ und „alle roten Linien übertretend“ empfand. „Frankreich, ein Land mit einer großen Geschichte des Christentums, sollte sich schämen und ich rufe dazu auf, alle Christen weltweit dagegen aufzubegehren. Wir verurteilen die Zeremonie entschieden.“, hieß es weiter.  (Veröffentlicht, Ayatollah Chamenei, auf Englisch am 28. Juli auf X)

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