Im fremden Land [zu Ostern]

„Warum, Israel, warum lebst du im Gebiet der Feinde, wirst alt in einem fremden Land?“ (Bar 3,10). Diese Frage steht im Buch Baruch. Es ist eines der kleinen Prophetenbücher des Alten Testaments. Die Lesung aus diesem Buch gehört zu den unbekannteren, die in der Osternacht gelesen werden (Bar 3, 1-15. 32-4,4). Baruch spricht in die Situation des Exils. Das Volk Israel (zumindest in Teilen) ist aus der Heimat verschleppt worden. In Babylon lebt es im fremden Land auf fremder Erde. Die Menschen sprechen eine andere Sprache. Sie haben eine andere Religion. Sie verehren andere Götter. Sie haben andere Gebräuche und Sitten. Sie leben nach anderen Gesetzen. Sie haben ihre eigene Ethik.

Die Erfahrung, in einem fremden Land zu leben, haben viele von Ihnen schon gemacht. Mit diesem fremden Land meine ich nicht das Ausland. Ich denke an die DDR. Das Land im Sinne des Ortes ist das gleiche. Die Sprache ist die gleiche. Aber von der Erfahrung der Fremdheit haben mir viele berichtet. Die Menschen haben eine andere Religion, andere Götter, andere Sitten, eine andere Ethik. Zumindest war das die Absicht des Sozialismus. Wie war es mit den Christen? Es gab drei Möglichkeiten: 1. Die Sitten des Landes anzunehmen und nach ihnen zu leben, 2. die Sitten des Landes zu adaptieren, Kompromisse zu schließen, ohne den eigenen Glauben und die eigenen Überzeugungen aufzugeben. Oder es gab (3.) die Möglichkeit, im Exil zu leben, gewissermaßen als Fremdkörper. Die Gemeinden haben sich manchmal so verstanden. Sie machten das Angebot einer gewissen gegenweltlichen Gesellschaft.

So ähnlich war es auch bei Israel im babylonischen Exil. Auch hier hatten die Israeliten diese drei Möglichkeit und sie machten von allen Gebrauch. Kein Wunder, dass die Propheten immer wieder dazu mahnten, die eigene Heimat, den eigenen Glauben und vor allem den Gott Israels nicht zu vergessen.

Wo leben wir heute? Es gibt bei nicht wenigen die Angst, mit der Zeit in ein fremdes Land zu geraten. Schon jetzt sehen wir, dass die Welt um uns herum weitgehend anderen Regeln, Gebräuchen und auch einer anderen Ethik folgt. Einige sehen darin einen Fortschritt, an den sich die Christen anpassen sollten. Sie sollten ihren Glauben und ihre Moral im Sinne des gesellschaftlichen Fortschritts verändern. Andere sehen eine Bedrohung und fühlen sich bereits jetzt als Exilanten. Sie suchen nach einer gegenweltlichen Verankerung im Glauben. Und wieder andere treibt noch eine ganz andere Angst um. Sie fürchten, eines Tages in einem Land aufzuwachen, dass wieder autoritären Regeln folgt.

Es ist nicht gerade aufmunternd, dass wir Christen derzeit in diesem Land keine wichtige Rolle spielen. Wir werden eine Minderheit. In Hamburg zählt man noch 30% Kirchenmitglieder, in Berlin 20%, hier in Schwerin sind es noch weniger. Und unsere Zahl nimmt ab.

Der Prophet Baruch beantwortet seine Frage. Er empfiehlt, zur Weisheit zurückzukehren. Damit meint er die Erkenntnis in die Schöpfung und in Gottes Wirken, das in ihr zu sehen ist. Baruch meint das Gesetz, die Heilige Schrift, in der der Glaube Israels bewahrt wird. Er meint aber auch die Lebensweisheit, die Frage, wie in ethischen Fragen zu urteilen ist, was für den Lebensstil wichtig ist, wie ein gutes Leben unter dem Vorzeichen des Glaubens gelingen kann.

Ich habe dabei ein Bild im Kopf. Es stammt aus Märchen und Legenden, ein Motiv, das in Erzählungen von „Parsifal“ bis „Star Wars“ immer wieder auftaucht. Diese Legenden handeln von einer Welt, um die es nicht gut bestellt ist. Es herrschen Konflikte, Unordnung oder Krieg. In dieser Situation machen sich die Helden der Geschichte auf die Suche nach Rat. Sie finden in irgendeiner Ecke der Welt oder des Weltraums die letzten Träger der alten Weisheit, die wenigen, die die ideologischen Wendungen des Weltenlaufs überstanden haben, die noch etwas wissen, das sonst verlorengegangen ist. „Wird der Menschensohn, wenn er kommt, den Glauben auf der Erde finden?“ (Lk 18,8). Diese Frage stellt das Lukasevangelium. Offenbar kennt die Bibel nicht zuletzt seit den Zeiten des Exils die Situation des fremden Landes nur allzu gut und erwartet sie auch in Zukunft.

Denken wir daran, dass Israel und wir mit ihm an einen Gott glauben, dessen Ur-Tat es ist, aus dem Chaos Ordnung zu schaffen (Gen 1). Sein Wort, seine Weisheit ordnet die Welt und das Leben. Das Gesetz Israels wollte dem Zusammenleben diese Ordnung geben. Ostern wird als Neuschöpfung verstanden. Das Gesetz, die Weisheit Gottes ist kein abstrakter Buchstabe, sondern gewinnt in Jesus Christus Gestalt. Ein weisheitliches Leben ist eines, das sich an ihm orientiert.

Die Weisheit besteht in Überzeugungen wie der, dass eine Umkehr möglich ist, dass es Vergebung und Nächstenliebe, sogar Feindesliebe geben kann. Die Weisheit besteht in der Erkenntnis, dass aus dem kleinen Samen des Gottesreiches etwas Großes wachsen kann, dass das Leiden Ausgangspunkt des neuen Lebens werden kann und vor allem darin, dass die Sünde und der Tod, die großen Störfaktoren eines gelingenden Lebens „in Ordnung“ gebracht werden können. Ostern sagt auch, dass diese göttliche Weisheit universell ist, sich entgrenzt und zum Hoffnungs- und Lebensraum werden kann unter allen zeitlichen oder örtlichen Umständen.

„Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt“ (1Petr 3,15). Dazu fordert der Erste Petrusbrief die Christen auf. Seid Menschen, in denen die Weisheit ein hörendes Herz gefunden hat. Ostern ist Grund dieser Hoffnung. Der Tod besiegt, das Leben neu geschaffen, die gefallene Welt erlöst. Christus ist auferstanden.

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