Facharbeitermangel

Im Augenblick entstehen in unserer kirchlichen Landschaft immer mehr weiße Flecken. Stellen, die in den Pfarreien vorgesehen sind, können nicht mehr besetzt werden. Das war die letzten Jahrzehnte auch schon so, aber nun ist die dünne Personaldecke kaum noch zu kaschieren. Es fehlen Priester, Pastorale Mitarbeiterinnen und -mitarbeiter, Religionslehrkräfte, Erzieherinnen und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Sozialen Diensten. Selbst für Verwaltungsaufgaben ist es nicht mehr so leicht, geeignete Personen zu finden. Als ich neulich mit einem Freund über diese Situation sprach, erzählte er mir, dass er in den vergangenen Monaten häufiger mit Menschen ins Gespräch gekommen sei, die den Mangel an Arbeitskräften in ihrem Alltag immer mehr bemerken würden. Die Kirche sei kein wirklicher Sonderfall. Denn, so sagte er, die Leute würden doch auch bemerken, wie schwierig es geworden sei, einen Facharzt zu finden, der noch neue Patienten aufnimmt, einen Handwerker, der einen kurzfristigen Termin ermöglichen kann, oder ein Restaurant für eine große Familienfeier. Firmen suchen nach Auszubildenden, Zugfahrten fallen aus Personalmangel aus, Geschäfte verkürzen ihre Öffnungszeiten und einzelne Pflegeeinrichtungen können ihre Häuser nicht voll belegen. Das Wort des Evangeliums, dass es zu wenige Arbeiter gibt, hat einen ganz aktuellen Bezug (Mt 9,36 – 10,8).

Nun können wir unseren Facharbeitermangel natürlich nicht mit der Situation des Evangeliums vergleichen, aber vielleicht hat es trotzdem etwas auch etwas dazu zu sagen. Jesu Wort von den wenigen Arbeitern bezieht sich schließlich zunächst in einem religiösen Sinn auf seine Sendung. Während Jesus das Kommen des Reiches Gottes verkündet, es in seinen Worten und Taten bezeugt, sieht er, dass es für diese Botschaft einen großen Bedarf gibt. Es gibt so viele, die darauf warten. Dies ist nicht nur in einem rein religiösen Sinn zu verstehen, denn das Kommen des Reiches bedeutet auch im ganz weltlichen Sinn das Eintreffen einer Herrschaft der Gerechtigkeit, die die Ausgeschlossenen und Randständigen wieder in die Gemeinschaft des Volkes Gottes integrieren kann. Das Reich Gottes zeigt sich darin, dass die Sünden vergeben werden können, die Dämonen ausgetrieben werden und die Krankheiten geheilt werden. Die Übel innerhalb der menschlichen Gemeinschaft sollen überwunden werden.

Jesus sendet die Jünger zur Mithilfe an seinem Werk aus. Er bildet dabei keine Facharbeiter aus. Die Jünger verfügen über keine spezifisch religiösen Qualifikationen. Vielmehr verleiht er ihnen Vollmacht, wie es im Text heißt. Jesus gibt also etwas anderes an sie weiter als Fachkenntnisse. Die Apostel sollen, vielleicht entgegen unserer Erwartungen, nicht zuerst predigen und die Schrift auslegen. Sie sollen vielmehr die Zeichen des Gottesreiches wirken, also an der Versöhnung und Heilung der Menschen teilhaben. Darin besteht ihre erste apostolische Aufgabe. Jesus sucht also Menschen, die sich ihm zur Verfügung stehen. Das Apostolat ist entgegen aktuellen Tendenzen nicht durch Qualifikationen zu erwerben.

In der vergangenen Woche fand bei uns in der Pfarrei ein interessanter Vortragsabend mit Professorin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz statt. Es ging um die Zukunft des Gottesglaubens. Uns Hörern wurde dabei Mut gemacht. Auf der einen Seite, so sagte es die Professorin, verschwindet die sichtbare und praktizierte Religion in unseren Breiten immer mehr. Auf der anderen Seite bleiben die Fragen der Menschen nach dem Sinn und nach Orientierung für ihr Leben bestehen. Diese Fragen lassen sich nicht durch den Materialismus beantworten. Wohlstand, Erlebnisse, Karriere löschen die religiösen Fragen der Menschen nicht aus. Daher fragte Gerl-Falkovitz, welche Aufgabe der christliche Glaube in dieser bestehenden Gesellschaft haben könne. Sie beantwortete die Frage mit einem Hinweis auf zwei tendenziell atheistische Denker, Jürgen Habermas und Jacques Derrida. Diese sahen den bleibenden Wert der Religion, besonders des Christentums genau in der Antwort auf die Fragen, die sich offenbar die Menschen zur Zeit Jesu auch stellten. Es geht zum einen um die Sehnsucht nach einer umfassenden Gerechtigkeit, die eben auch die Opfer und Marginalisierten der Geschichte mit einschließt und auch die Toten zu ihrem Recht kommen kann. Religiös würden wir sagen, es geht um die Hoffnung auf ein ewiges Leben, auf eine Vollendung und Gerechtigkeit aller Geschichte. Die zweite Sehnsucht ist die nach Aussöhnung und Heilung. Das Christentum verheißt, dass es Gott möglich ist, Schuld zu überwinden und den Menschen den Weg zu einem Neuanfang zu eben. Es verheißt die Gegenwart eines Gottes, der mit in das tiefste Leiden hineingeht und uns Heilung und Erlösung verheißt.

Schauen wir also in unsere Zeit, dürften wir mit dem Evangelium sagen, dass die Ernte oder zumindest der Auftrag weiter groß ist. Die Arbeiter fehlen. Das Apostolat, also die Sendung dürfen wir verstehen als ein Apostolat der Hoffnung, einer Hoffnung auf Gerechtigkeit, Heilung und Versöhnung, auf eine Überwindung des Übels. Dieses Apostolat ist dann nicht enggeführt auf einen bestimmten Dienst oder Beruf, sondern es betrifft alle Gläubigen. Dieses Apostolat wird im ersten Petrusbrief wiedergegeben mit dem Auftrag: „Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die euch erfüllt“ (1 Petr 3,15). Diesem Auftrag dürfen wir uns in unserer Zeit verpflichtet fühlen, in einer orientierungslos scheinenden Zeit, die diese Hoffnung gut gebrauchen kann, als eine Botschaft der Freude und der Zuversicht.

Beitragsbild: Arbeiter, Wandmosaik in Berlin in der Nähe des Alexanderplatzes

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