Die Lesung des Sonntags erzählt vom Propheten Elija (1Kön 19, 4-8). Er ist erschöpft und deprimiert, so, dass er sich sogar den Tod wünscht. Unverhofft empfängt er in dieser Situation eine Gabe von Gott. Neben ihm steht Brot. Er isst es. Die Depression verfliegt, die Erschöpfung auch. Elija macht sich wieder auf den Weg. Was ist das für ein Brot? Es ist ein irdisches Brot, das dem Körper zur Nahrung dient. Zugleich ist es ein himmlisches Brot, das der Seele neue Nahrung gibt. Um diese Unterscheidung des irdischen, täglichen Brotes und des himmlischen Brotes geht es auch im Evangelium (Joh 6, 41-51).
Wie würden Sie tägliches und himmlisches Brot unterscheiden? Ich denke, eine gängige Unterscheidung wäre die zwischen Alltag und Festtag, zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Anspannung und Erholung, zwischen Routine und Ereignis.
Ich möchte Ihnen eine Geschichte erzählen: Es waren einmal zwei Schwestern. Als sie jung waren war der große Krieg. Eines Tages mussten sie ihr Haus verlassen. Sie gingen mit ihren Eltern einen beschwerlichen Weg. Sie kamen bis ins ferne Mecklenburg. Der Krieg war zu Ende. In einem Dorf fanden sie ein kleines Haus, das ohne Bewohner war. Sie zogen dort ein. Es gab einen Kachelofen. Und es gab einen Garten. Die Eltern arbeiteten schwer auf dem Land. Am Abend, nach der Arbeit, bewirtschafteten sie den Garten. Sie pflanzten Kartoffeln. Sie fütterten die Hühner. Sie gruben die Erde um. Die Schwestern gingen zur Schule. Sie mussten dazu in den Nachbarort. Manchmal nahm sie jemand auf einem Traktor oder einem Pferdewagen mit. Nach der Schule lernten sie im Nachbarort im Büro im gleichen Betrieb. Der Vater starb. Die Mutter wurde krank. Die eine der Schwestern blieb fortan zu Hause. Sie pflanzte Kartoffeln. Sie fütterte die Hühner. Sie grub die Erde um. Sie pflegte die Mutter viele Jahre. Die andere Schwester verdiente das Geld. Der Bus brachte sie zur Arbeit. Manchmal holten Verwandte die Schwestern zu einem Besuch in ihr Dorf ab. Am Sonntag gingen sie zur Kirche. Das ging nicht immer. Aber ein freundlicher Nachbar nahm sie mit. Die Mutter starb. Die Schwestern wurden älter. Sie bleiben beide zu Hause, im Haus, von dem sie nicht wussten, wem es gehörte. Als sie es wussten, ließ der Besitzer sie wohnen. Sie pflanzten Kartoffeln. Sie fütterten die Hühner. Sie gruben die Erde um. Manchmal kamen die Verwandten und holten sie ab. Manchmal gingen sie sonntags zur Kirche. Aber das geschah immer seltener. Sie hatten beide ja viel zu tun. Eines Tages hatte eine der Schwestern einen Unfall. Man musste den Krankenwagen holen. Sie starb nach wenigen Tagen. Die andere Schwester sagte: “So ein langes Leben. Jetzt hat sie ihren Frieden.”
Als mir die Schwester das beim Trauergespräch sagte, war ich beschämt. Ich hatte in der gleichen Woche wahrscheinlich mehr Kilometer zurückgelegt als die Schwestern in einem ganzen Jahr. Ich hatte mit mehr Menschen gesprochen als die Schwestern in einem ganzen Monat. Ein Leben, wie die Schwestern es geführt hatten, war mir unvorstellbar. Hier gab es kaum Unterscheidung zwischen Alltag und Festtag, zwischen Arbeit und Freizeit, zwischen Anspannung und Erholung, zwischen Routine und Ereignis. Ich hätte mit den Schwestern nicht tauschen wollen. Ich hätte ihnen soviel mehr an Erfahrungen und Erlebnissen gewünscht. Und trotzdem: Die Geschichte ihres Lebens hat mich mit großer Ehrfurcht erfüllt. In dieser Geschichte lag bei allem ein großer Friede.
Das tägliche Brot ist hier etwas ganz einfaches. Es kommt und geht. Das Evangelium ist über Jahrhunderte solchen Menschen vorgelesen worden. Es wird bis heute an vielen Stellen der Welt solchen Menschen vorgelesen. Es ist ihr Evangelium. Es gibt das tägliche Brot, von dem wir hoffen müssen, das es immer da ist. Es gibt einen guten Gott, von dem wir es erbeten. Und es gibt das himmlische Brot. Es ist ein Brot, das niemals ausgehen kann. Es ist mehr als tägliche Brot. In ihm ist das Leben. Es ist Hoffnung. Es ist Schönheit. Es ist Wahrheit. Es ist Liebe. Auch dieses Brot gibt uns Gott. Man kann es nicht kaufen. Man kann es sich nicht erarbeiten. Man muss es sich schenken lassen.
Wer zuviel tägliches Brot hat, wird wenig danach verlangen. Das ist vielleicht die große Schwierigkeit unserer Zeit: Wir müssen etwas suchen, was wir nicht kaufen können. Das ist ungewohnt. Heute sagen viele: “Wir haben ein langes Leben. Aber den Frieden haben wir nicht gefunden. Wir sind immer auf der Suche. Irgendetwas fehlt noch. Wir sind noch nicht satt.”
Eigentlich will das Evangelium uns davon entlasten. In der Brotrede sagt Jesus: “Müht euch nicht ab für die Speise, die verdirbt, sondern für die Speise, die für das ewige Leben bleibt und die der Menschensohn euch geben wird!” Wie also wird unsere Suche nach dem himmlischen Brot aussehen?