Nachdem der Schweriner Dom im vergangenen Jahr zwei neue Kirchenfenster des Künstlers Günther Uecker erhalten hat, folgte am vergangenen Sonntag (07.04.24) in Greifswald die Einweihung eines neuen Kunstwerks aus Glas.[1] Der weltweit rezipierte dänische Künstler Ólafur Elíasson hat für den Chorabschluss des Greifswalder Doms drei Kirchenfenster geschaffen. Die gotischen Fensterbögen umfassen nun 3800 farbige Scheiben, die in ihrer Gesamtkomposition einen Farbverlauf bilden. Von unten angefangen geht ein kräftiges Orange in ein helles Gelb über, schließlich in Weiß und zum Abschluss in ein Hellblau. Der Eindruck eines Sonnenaufgangs wird ziemlich unmittelbar durch diese Farbgebung hervorgerufen. Das ist kein Zufall. Elíasson bediente sich für die Gestaltung einer prominenten Vorlage. Er sagt, die Farben aus dem Gemälde „Huttens Grab“[2] des in Greifswald geborenen Caspar David Friedrich entnommen zu haben. Dieser malte einen Sarkophag, der in einer gotischen Ruine steht, durch deren leere Fensterbögen das Licht des auf- oder untergehenden Tages fällt. Elíasson füllt nun die Bögen mit einer Nachgestaltung der friedrichschen Lichtgebung.
Auf den ersten Blick passt hier in Greifswald alles zusammen. Zum Caspar David Friedrich-Jubiläum erhält die Stadt ein öffentliches Denkmal eines bedeutenden Gegenwartskünstlers, das an ihren großen Sohn erinnert. Die Besucher des Doms können sich über ein wertvolles und ästhetisch ansprechendes Kunstwerk freuen, das ganz im Geist der herrschenden Friedrich-Rezeption eine offene, konfessionell wenig bindende naturverbundene Religiösität ausstrahlt. Es ist ein manifestierter (also beständiger) Sonnenaufgang, der das Kirchenschiff von seiner Ost- und Altarseite her prägt. Der Greifswalder Regionalbischof Tilman Jeremias verwies daher zurecht in seiner Predigt auf die Bedeutung des Ostens als Himmelsrichtung der aufgehenden Sonne (und damit des wiederkehrenden Christus), der die Gebetsrichtung in der Kirche vorgibt.
Das Werk passt in das Gesamtschaffen Elíassons, der mit Naturinszenierungen bekannt geworden ist und künstliche Sonnen, Wasserfälle oder Felshänge als Installationen in die Museen gebracht hat. Diese Reproduktionen der Natur lassen sich gut mit der besonderen ökologischen Aufmerksamkeit unserer Zeit verbinden. Hierin sind sie der Romantik sogar sehr ähnlich. Die romantische Epoche liebte die Reproduktion. Sie lebte aus der Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies, nach der Ursprünglichkeit der Landschaft und nach dem Mittelalter, das sie als Blütezeit der deutschen Kultur wieder aufleben lassen wollte. In dieser Epoche verschmolzen nach Ansicht der Romantiker Natur, Mythos, Kunst und Religion zu einer einzigen Einheit – ein Vorbild für künftige Zeiten. So baute die Romantik künstliche Burgruinen, um der Landschaft ein altdeutsches Gepräge zu geben. Sie versuchte, Natur zu erhalten. Als der Drachenfels, der markante Felsen am nördlichen Ende des Mittelrheintals durch Bergbau zunehmend abgetragen zu werden drohte, sicherte ein bürgerliches Bündnis 1837 seine Existenz als Naturdenkmal. Es war die Zeit, in der Caspar David Friedrich seine letzten großen Werke malte. In ihnen komponierte er Naturlandschaften zu idealen „Samples“. „Huttens Grab“ von 1823 ist eben eine solche Komposition. Das eigentliche Grab des Humanisten Ulrich von Hutten befindet sich auf einer Insel im Zürichsee. Auf Friedrichs Bild ist stattdessen die schon erwähnte gotische Ruine zu sehen.
Insofern ist der „romantische“ Bezug des Kunstwerks im Greifswalder Dom auch in dieser Art der Naturreproduktion deutlich gegeben. Bischof Jeremias erwähnte in seiner Predigt die unabgeschlossene „Romantisierung“, die das Gotteshaus Mitte des 19. Jahrhunderts erfahren sollte – gemeint ist damit eine Renovierung im Geist der Zeit, wie sie in der Neugotik häufig vorkommt. Die Umsetzung des Projekts gelang nicht vollständig. Die vorgesehene Erneuerung der Glasfenster blieb damals aus. Wahrscheinlich wären hier allerdings keine Naturanklänge zu sehen gewesen, sondern Darstellungen biblischer Ereignisse im damals sehr beliebten Neo-Mittelalterstil, wie sie in den großen Glaswerkstätten, z.B. im belgischen Brügge, für ganz Europa in großen Mengen hergestellt wurden und die häufig farblosen Fenster der Zeit des Barock und Klassizismus in den gotischen Kathedralen verdrängten. Der Anklang an die „romantische“ Epoche, die jetzt durch den Verweis auf Friedrichs gemalten Himmel gegeben wird, hat also mit unserer heutigen Sicht auf die Romantik zu tun. Ein Zeitgenosse des 19. Jahrhunderts hätte sich über einen schlichten Farbverlauf im Fenster wahrscheinlich eher gewundert. Wir stehen bei den neuen Glasfenstern also nicht vor einem romantischen Kunstwerk, sondern vor einem neo-romantischen. Wir verstehen die Romantik auf der Basis unseres Zeitempfindens in ähnlicher Weise selektiv wie die Romantiker das Mittelalter.
Was allerdings sagt die Romantik? Der Künstler Elíasson berichtete vor der Einweihung der neuen Kirchenfenster in Greifswald, er habe sich dafür intensiv mit dem Werk Caspar David Friedrichs auseinandergesetzt. Dies ist ästhetisch sicherlich der Fall. Geschichtlich darf man aber Anfragen stellen. Das Bild „Huttens Grab“, auf das Elíasson Bezug nimmt, ist ein politisches Motto-Bild, eine Allegorie auf das damalige Zeitgeschehen.[3] Ulrich von Hutten (1488-1523) war ein deutscher Humanist und Dichter. Er entwickelte sich im Laufe seines Lebens zum lauten Kritiker der römischen Kirche und sah in einer Abkehr von römischer Beeinflussung und Dekadenz den richtigen Weg für Deutschland. Um diesen Grundgedanken kreiste seine Dichtung „Arminius“ über die Schlacht am Teutoburger Wald, die er als Mythus für die Eigenständigkeit einer germanisch-deutschen Tradition etablierte. Nach den Kriegen gegen Napoleon wurde Hutten zur Galionsfigur der deutsch-nationalen Bewegung. Johann Gottfried Herder schrieb 1793 über Huttens Grabstätte am Zürichsee: „Schiffe hinüber, reisender Jüngling, und suche sein Grab und sage: ‚Hier liegt der Sprecher für die Deutsche Nation, Freyheit und Wahrheit, der für sie mehr als Sprecher seyn wollte.‘“[4] Die Pilgerstätte „Huttens Grab“ wurde den Deutschnationalen, zu denen auch viele der Romantiker zählten, zu einem mystischen Ort, einer Art Ursprung für ein freies (und auch republikanisch-demokratisches) Deutschland.
Friedrich malt Huttens Grab nun 1823 im Zustand des Verfalls. Es liegt in einer Ruine, ist von Farnen und Sträuchern bewachsen. Es handelt sich um einen vergessenen und verlassenen Ort. 1815 war auf dem Wiener Kongress die neue europäische Ordnung installiert worden. Gesellschaftlich herrschte ein Klima der Restauration, also der Wiederherstellung alter Machtverhältnisse. Von modernen, freiheitlichen oder gar demokratischen Aufbrüchen war nichts mehr zu sehen. Caspar David Friedrich malt einen Mann, einen letzten Pilger, der zum Grab Huttens kommt. Er trägt die Tracht des Lützower Corps, einer Kampftruppe von Freiwilligen während der Kriege gegen Napoleon. Auf das Grabmal Huttens schreibt Friedrich die Namen anderer Freiheitskämpfer, die mittlerweile in Ungnade gefallen sind, u.a. den Friedrich Jahns, des „Turnvaters“. Das Gemälde ist also ein Requiem auf eine untergegangene politische Hoffnung. Ob es sich um eine Abend- oder Morgenszene handelt, also einen Abgesang oder eine Hoffnungsperspektive, lässt sich anhand der Himmelsfärbung nicht genau sagen. Mir scheint, dass der Himmel nach oben hin grau und dunkler wird – dies kann aber auch eine Alterungserscheinung des Bildes sein. Wie auch immer: Die Botschaft des Bildes passt eigentlich nicht in einen Kirchenraum, es sei denn der Künstler Elíasson hätte hier einen etwas boshaften Abgesang auf die Kirche in der Konzeption seines Werkes mitgedacht. Unterstellen wir Elíasson auch, dass er die nationalen und antifranzösischen Aussagen des Ausgangsgemäldes nicht rezipieren wollte. So bleibt leider aus meiner Sicht kein wirklicher „Gedanke“ aus dem zitierten Werk Friedrichs hängen, sondern lediglich eine ästhetische Abbildung: Morgen (Abend-) Himmel durch gotische Fenster gesehen auf dem Gemälde und auf dem Kirchenfenster. Das ist zwar schön anzuschauen, aber verliert die Anstößigkeit des friedrichschen Gemäldes. Es wäre für einen Kirchenraum vielleicht sinniger gewesen, eines der religiösen Bilder Friedrichs zu zitieren.
Über Kunst lässt sich trefflich streiten. Ein neues Kunstwerk wird seine eigene Geschichte im Laufe der Zeit entwickeln. Es wird interessant sein, was man in einigen Jahren, wenn der Hype um Friedrich wieder abgeklungen ist, über die neuen Fenster im Greifswalder Dom sagen wird. Für den Augenblick werden sie sicher große Begeisterung hervorrufen.
[1] Fenster von Ólafur Elíasson im Greifswalder Dom eingeweiht – nordkirche.de
[2] Abbildung des Gemäldes z.B. hier: Caspar David Friedrich – Huttens Grab – PICRYL – Public Domain Media Search Engine Public Domain Search
[3] S. dazu die sehr kenntnisreiche Darstellung von Barbara Basting: Die zwei Gräber des Ulrich von Hutten – Blog zur Schweizer Geschichte – Schweizerisches Nationalmuseum
[4] Herders ganzer Text über Hutten: Denkmal Ulrichs von Hutten – Wikisource
Ich finde die Fenster sehr schön. Eine angenehme Harmonie strahlende sie aus. Nicht so zerrissen wie in Grimmen.
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