An den Krieg erinnern

In der Sammlung unseres vor Kurzem wiedereröffneten Schweriner Museums findet sich eine Zeichnung des Malers Theodor Schloepke aus der Zeit um 1870. Sie zeigt ein Lager. Vor den weißen Zelten stehen Männer in orientalisch anmutender Kleidung. Einige von ihnen tragen einen Fez auf dem Kopf. Die Männer lesen oder spielen Karten. Man sollte angesichts der exotisch anmutenden Szene meinen, wir befänden uns in Nordafrika. Stattdessen aber hatte Roepke eine Schweriner Szene festgehalten. Das Lager befand sich auf der Insel Kaninchenwerder. In Schwerin hatte man über 1000 französische Kriegsgefangene aus dem preußisch-französischen Krieg von 1870/71 gebracht. An diese Episode der Stadtgeschichte erinnert heute noch der Name „Franzosenweg“ für die Promenade am Ostufer des Schweriner Sees. Die Straße wurde maßgeblich von den damaligen Zwangsarbeitern aus Frankreich gebaut. Und es gibt ein Denkmal auf unserem katholischen Friedhof. Es erinnert an die im Lager verstorbenen Kriegsgefangenen.

Vor ein paar Monaten bekam ich einen Anruf. Bei mir meldete sich ein Offizier, der an der französischen Botschaft in Berlin arbeitet. Er berichtete mir vom Interesse der französischen Kriegsgräberfürsorge an der Renovierung des Denkmals. So kam ich Kontakt mit der Geschichte der Kriegsgefangenen. Zusammen mit dem Stadtarchiv sind wir den historischen Spuren nachgegangen. Das Denkmal ist renoviert worden und im nächsten Jahr soll eine Informationstafel folgen. Die französische Armee bemüht sich um die Kontakte zu den Nachfahren der dort bestatteten Soldaten.

Jetzt kann man sich fragen: 1870 – ist das nicht schon sehr lange her? Wer weiß heute noch etwas über den damaligen Krieg?

Am Volkstrauertag heute wird besonders an das Ende des 2. Weltkriegs erinnert. Dieses Ereignis ist nun bereits 80 Jahre her. Noch gibt es eine Reihe von Zeitzeugen, die zumindest Kindheitserinnerungen an den Krieg haben. Aber schon bald werden wir ganz ähnlich sagen: Der 2. Weltkrieg, er ist doch schon so lange her.

Wie also sollen wir uns an diesen Krieg erinnern? Im Grußwort zum Volkstrauertag haben die Vorsitzenden der Konferenzen der evangelischen und katholischen Kirche geschrieben:      

„Gerade im Zusammenhang mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs sehen wir, wie problematisch es ist, wenn Erinnerung – wie etwa in der Russischen Föderation – dazu benutzt wird, heutige Gewalt zu rechtfertigen. Das trägt nicht zur Heilung bei, schürt Angst und Hass und bringt Menschen auseinander statt zusammen. Zu einer heilsamen, Versöhnung ermöglichenden Erinnerung gehört, aufrichtig und wahrhaftig zu sein. Das gilt auch für die Bereitschaft, sich den Verletzungen der Anderen ebenso zu stellen wie den eigenen. Wenn diese Bereitschaft heute von rechtspopulistischen Kräften infrage gestellt wird, spaltet das die Gesellschaft und verstellt die Möglichkeit zur Versöhnung.“

Das Erinnern ist keineswegs unpolitisch. Man kann an einen Krieg als große militärische Leistung denken, an Siege und Helden. Man kann aber auch anders darauf zurückblicken. Wenn in meiner Familie über den Krieg gesprochen wurde, dann erzählten meine Vorfahren von der Flucht aus der schlesischen Heimat. Sie erzählten von der Bombennacht von Dresden. Sie berichteten vom Kriegseinsatz, wo sie als junge Männer das Grauen der Schlachtfelder erlebt hatten. Sie berichteten von der Kriegsgefangenschaft, teilweise in fernen Ländern, von der Not der Nachkriegszeit in einem zerstörten Land. Ähnlich wird es in Ihren Familien auch sein. Es gab niemanden in Deutschland, der von der Grausamkeit des Krieges unberührt war. In fast allen Familien waren Verwandte und Freunde als Soldaten gestorben, viele haben die Bombardierungen erlebt, das Elend der Familien, Flucht und Vertreibung. Stück für Stück wurden ihnen auch die Verheerungen der Feldzüge bewusst und der Massenmord an den Juden und anderen verfolgten Gruppen.

Unsere Vorfahren haben das erlebt, was das Evangelium beschreibt, das übrigens wahrscheinlich auch aus der Erinnerung an den jüdischen Krieg aus dem Jahr 66 geschrieben wurde, in dem Jerusalem von den Römern erobert und der Tempel zerstört wurde. Das Evangelium bewahrt auch die Erinnerung an die Verfolgung der ersten Christen auf. Jesus sagt, auf die Zukunft bezogen:

„Volk wird sich gegen Volk und Reich gegen Reich erheben. Es wird gewaltige Erdbeben und an vielen Orten Seuchen und Hungersnöte geben; schreckliche Dinge werden geschehen und am Himmel wird man gewaltige Zeichen sehen. Man wird Hand an euch legen und euch verfolgen. Man wird euch den Synagogen und den Gefängnissen ausliefern, vor Könige und Statthalter bringen um meines Namens willen“ (Lk 21).

Das alles ist schon lange her, sehr lange. Und wieder geht es um das Erinnern. Die Not ist schrecklich. Der Krieg ist schrecklich. Vergesst das nicht. Jesus erinnert zugleich an Gottes Gerechtigkeit und er mahnt zur Standhaftigkeit, zum Glauben und zur Hoffnung. Das Schreckliche muss überwunden werden. Es gibt eine Kraft zum Guten. Vergesst das nicht.

Ich halte es für sehr wichtig, die Erinnerung an den Krieg an der Gräbern der Soldaten zu halten, aber auch an den Gräbern aller, die der Krieg zerstört hat: an den Gräbern der Hingerichteten, an den Gräbern derjenigen, die alles verloren haben, an den Gräbern der vielen Menschen, die keine Soldaten waren und dennoch durch die Waffen des Krieges umgebracht und verletzt wurden. Die Helden des Kriegs sind diejenigen, die sich auch in der Bedrängnis ihre Menschlichkeit bewahrt haben, die in der Verheerung versucht haben das Gute zu tun, die in anderen Völkern nicht zuerst den Feind, sondern den Nächsten gesehen haben. In dieser Weise erinnern wir heute. Wir tun dies in der Heiligen Messe, die den Opfertod Jesu als ewige Memoria zum Inhalt hat. Eine Erinnerung an das Leiden, aber vor allem eine Erinnerung daran, wie Gott das Leiden überwunden hat. Das Leben hat sich als stärkere Kraft erwiesen. Diesem Leben sollten wir uns verpflichtet fühlen, auch in unserer Zeit.

2 Kommentare zu „An den Krieg erinnern

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