Sakramente – Teil 1: Zeichen und Symbole

Einleitung

„Helene Fischer treibt Pfarrer Frings ins Kloster!“ Mit einer solchen Schlagzeile kommentierte die Boulevardpresse 2016 die Entscheidung des Münsteraner Pfarrers Thomas Frings, von seinem Pfarramt zurückzutreten.[1] Der Fall wurde deutschlandweit bekannt. Frings begründete seinen Schritt damals mit einer persönlichen Krise. Diese war allerdings von etwas anderer Natur, als man erwarten sollte. Der Pfarrer legte sein Amt nicht etwa wegen der Zölibatsverpflichtung oder aus Ärger über ausbleibende Kirchenreformen nieder. Vielmehr erklärte er, den zunehmenden Abstand zwischen seinem eigenen Anspruch, der Glaubensverkündigung, und dem realen kirchlichen Leben nicht mehr aushalten zu können. Einfach gesagt: Dem Pfarrer war das pastorale Tun, das er zu verantworten und zu organisieren hatte schlicht zu gedankenlos und oberflächlich geworden.

An dieser Stelle kam nun die Schlagersängerin Helene Fischer ins Spiel. Als Beispiel für die Kluft zwischen kirchlichem Anspruch und kirchlicher Wirklichkeit führte er an, dass er bei Traugottesdiensten zunehmend mit unpassenden Musikwünschen konfrontiert wurde. Den Brautpaaren schien Frings nicht mehr bewusst zu sein, was in der Trauung eigentlich gefeiert wird, dass es sich also um eine sakramentale kirchliche Feier handelt, die den Glauben zumindest in groben Zügen voraussetzen würde. Wo das Religiöse aus dem Ritual schwindet, wird letzteres im Grunde inhaltsleer. Ähnliche Beispiele nannte Frings auch zu Beerdigungen, Taufen, Firmungen oder Erstkommunionen. Was die Gemeindemitglieder ihm hier spiegelten, war eine „leere“ Frömmigkeit, die zwar noch traditionelle äußere Zeichen kannte und sie als Tradition bewahrte, ohne allerdings, dass diese noch einen „Sitz im Leben“ hatten. Die Kirche wurde als Ritualanstalt ohne Glauben erfahren. Statt Evangelisierung, so Frings, sei nur die Frage der äußeren Gestaltung in den Vordergrund getreten. Nicht mehr „was feiern wir da?“ habe im Zentrum gestanden sondern „wie feiern wir das?“.

Die Krise des Glaubens zeigt sich am deutlichsten dort, wo er gefeiert wird. Jetzt kann man gegen Thomas Frings sicher einwenden, dass man den eigentlichen Glauben der Menschen nicht so einfach beurteilen kann, oder auch, dass das Wissen über den Glauben nicht mit dem empfundenen Glauben, also der Gottesbeziehung verwechselt werden darf. Zudem ist die Beziehung Gottes zu den Menschen in gewisser Weise „objektiv“, so dass sich Gottes Zusage und Liebe auch dort vermittelt, wo sie nicht auf Gegenliebe stößt. Damit sind wir allerdings schon weit in ein Thema eingetaucht, das ich im Folgenden einmal etwas ausführlicher darstellen möchte. Es soll um die Sakramente gehen. Die Sakramente sind die kirchlich gesehen augenfälligsten Berührungspunkte zwischen Gott und Menschen. Sie sind Zeichen, in denen sich seine Gegenwart an uns als Mitglieder der Kirche (und als Glaubende) vermitteln möchte.

Über die Sakramente zu schreiben ist schwierig. Es gibt wenige Bereiche der kirchlichen Lehre, die so verschieden gedacht, verstanden und ausgelegt werden. Es gibt unzählige theologische Ansätze, die nur schwer zu bündeln und darzustellen sind. Dazu kommt, dass es um die Sakramente die unterschiedlichsten pastoralen und kirchenrechtlichen Fragestellungen gibt, die aktuell diskutiert werden. Ich möchte hier dazu keinen Überblick bieten, sondern versuchen, in möglichst einfacher und verständlicher Weise eine Hinführung zu geben und anhand von ganz alltäglich-praktischen Fragen auf einige Probleme des kirchlichen Lebens eingehen.

Zunächst einmal: Ich teile die Erfahrungen von Pfarrer Frings nur zum Teil. Natürlich kenne ich die von ihm genannten Situationen auch – wenn ich ein Brautpaar darauf hinweisen muss, dass der Trauritus nicht einfach frei gestaltet werden kann, wenn es bei der Vorbereitung der Erstkommunion bei Eltern vor allem um Kleider- und Dekorationsfragen geht, während die Glaubensfragen nur mit Mühe angesprochen werden können; wenn das Beichtgespräch dafür genutzt wird, anderen ihre Sünden aufzuzählen… . Aber es gibt auch gegensätzliche Erfahrungen. Ich kenne (zum Glück) viele, denen die Feier der Eucharistie ein echtes menschliches und religiöses Bedürfnis ist, bei denen die Beichte tatsächlich eine „Lossprechung“ im Sinne einer Befreiung und Neuorientierung bewirkt. Oft entfaltet der Ritus erst im Vollzug seine Wirksamkeit und ich sehe Jugendliche, die vom Geschehen der Firmung wirklich ergriffen oder Trauungen, die vom Brautpaar, aber auch von den Mitfeiernden als echte Vertiefung erfahren werden. Und ich kenne die eigentlich immer bedeutsame und sinnstiftende Wirkung der Krankensalbung, die häufig tatsächlich auch für die Kranken etwas bewegt. Die Sakramente haben nach wie vor ihre eigene Kraft, auch dort, wo sie auf menschlicher Seite kaum bewusst mitvollzogen werden.

Zeichen und Symbole

Was ist ein Sakrament? Auf diese Frage werden Sie in der Literatur und in der Tradition der Kirche viele verschiedene Antworten finden. Die Lehre von den Sakramenten hat sich immer wieder verändert und tut es auch heute noch. Das lateinische Wort „sacramentum“ ist eine Übersetzung des griechischen Wortes „mysterion“. Dieses würden wir im Deutschen als „Geheimnis“ wiedergeben. Das lateinische „sacramentum“ ist dagegen laut dem PONS-Wörterbuch als „Haftgeld“ (Kaution, die von beiden Streitparteien hinterlegt wurde), „Prozess“ oder auch „Fahneneid / Treueeid“ zu übersetzen. Allein die Begriffe geben ein nur unzureichendes Bild von dem, was ein Sakrament im kirchlichen Sinn sein soll. Beide Begriffe verweisen allerdings auf einen religiösen Inhalt. Das „mysterion“ ist im biblischen Sinn eine Offenbarung Gottes, also ein Glaubensinhalt. In der Heiligen Messe heißt es im Hochgebet: „Geheimnis des Glaubens (mysterium fidei)“. Auf diesen Ruf antwortet die Gemeinde mit dem Bekenntnis: „Deinen Tod, o Herr verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit“. Hier wird also ein kurzes Glaubensbekenntnis gesprochen. Unser „Geheimnis“, das wir hier feiern, ist Tod, Auferstehung und Wiederkunft Christi. Nicht selten wird bei den frühen Theologen in Bezug auf Paulus auch von Jesus Christus als dem „mysterion“ Gottes gesprochen.[2] Wir werden auf diesen „mystagogischen“ Aspekt später noch zurückkommen. Im Lateinischen deutet der Wortstamm „sacr“, der sich bei uns im Wort „sakral“ erhalten hat, auf ein religiöses Geschehen hin. Es handelt sich also um einen „heiligen Akt“ oder einen Akt „in dem sich etwas Heiliges vermittelt“.[3]

Starten wir lieber etwas einfacher. Eine offenbar zu seiner Zeit gängige Definition von „Sakrament“ war bei Thomas von Aquin (13. Jahrhundert): „Zeichen einer heiligen Sache“.[4] Das ist eine sehr allgemeine Formulierung. Ein Zeichen kann schließlich vieles sein. Zeichen sind Verweise auf etwas anderes. Ein klassisches Beispiel für ein Zeichen ist der Rauch, der anzeigt, dass es ein Feuer gibt. Ein Stau auf der Autobahn kann ein Zeichen für eine Baustelle oder einen Unfall auf der Strecke vor mir sein. Das Gähnen meines Gegenübers ist ein Zeichen für dessen Müdigkeit. Das laute Bellen in meiner Nähe sagt mir, dass ein Hund in der Nähe ist. Ein Wegweiser zeigt mir die Richtung an, in die ich gehen muss. Zwinkert mir jemand zu, ist das ein Zeichen, dass ich seine eben gemachte Aussage nicht ganz ernst nehmen soll. Ein Andreaskreuz an der Straße zeigt an, dass hier bald ein Bahnübergang meinen Weg kreuzt.

Ganz ähnlich wie das Zeichen und nicht immer klar von ihm zu unterscheiden ist das Symbol. Hier wird ein Begriff oder ein Sachverhalt durch ein Zeichen repräsentiert. Eine weiße Taube steht für „Frieden“. Ein auf der Spitze stehendes weiß-gelbes Quadrat am Straßenrand bedeutet, dass ich mich als Autofahrer auf einer Vorfahrtsstraße befinde. Hammer und Sichel sind ein Symbol für den Kommunismus, fünf ineinander gelegte Ringe für die Olympischen Spiele. Nationale Symbole, wie die Flagge stehen für einen Staat und seine Rechtsordnung.

Die kleinen Beispiele zeigen, dass wir uns ganz selbstverständlich in unserem Leben in Zeichen und Symbolen bewegen und uns mit ihnen verständigen. Im Grunde ist jeder sprachliche Ausdruck, jedes Schriftwort ebenfalls ein Zeichen oder Symbol. Das Wort „Haus“ meint eine bestimmte Wirklichkeit, eine Sache, die wir als „Haus“ bezeichnen. Das Wort steht stellvertretend für das vor uns stehende Gebäude. Die Vermittlung der Wirklichkeit durch sprachliche Zeichen ist eine entscheidende Kulturleistung. Rechnet man die Sprache unter die Zeichen, dann kommunizieren wir eigentlich nur über Zeichen.

Es gibt Zeichen und Zeichenhandlungen, die man „starke“ oder „wirkmächtige“ Zeichen nennen könnte. Sie sind nicht bloß ein Verweis oder ein Symbol, sondern Ausdruck einer Wirklichkeit. Das klingt kompliziert, ist es aber nicht. Wenn beispielsweise die weiße Taube ein Symbol für den Frieden ist, dann ist dieses Symbol erst einmal schlicht als solches lesbar. Wenn ich auf einer Friedensdemonstration eine Fahne mit dem Symbol der weißen Taube schwenke, dann sagt das Symbol im Verbund mit meiner Handlung und dem Ort (dem Bezugsrahmen, in dem das Symbol vorkommt) noch mehr aus. Dem Betrachter wird klar, dass ich, der Fahnenschwenker, mich für den Frieden einsetze und, dass mein Fahnenschwenken auf der Demonstration zugleich für mich ein Weg ist, etwas für den Frieden zu tun. Das Symbol gewinnt also an „Tiefenstruktur“. Es symbolisiert hier meine persönliche Friedensliebe, die ich in der Symbolhandlung zum Ausdruck bringe.

Nehmen wir ein anderes Beispiel. Zur Zeit des römischen Kaiserreiches war es üblich, eine Kriegserklärung durch einen symbolischen Akt auszudrücken.[5] Ein Priester („Fetial“) nahm im Zentrum von Rom am Tempel der Belluna Aufstellung und schleuderte einen Speer in Richtung des Volkes, dem der Krieg erklärt wurde. Das Symbol (der Speer) und die Handlung (das Schleudern des Speers) durch einen Repräsentanten der religiösen und staatlichen Ordnung war ein Ritus, durch den eine neue Wirklichkeit etabliert wurde. Der Speerwurf war ein „starkes“ Symbol, denn der Ritus enthielt, was er ausdrücken wollte. Er war die Kriegserklärung.

Etwas weniger eindrucksvoll, aber ebenso zeichenhaft sind etwa Vereidigungszeremonien. Nach erfolgter Wahl im Parlament muss ein neuer Bundeskanzler mündlich seine Zustimmung zur Annahme der Wahl geben und legt dann einen Eid ab. Der Eid wird durch das Erheben der Schwurhand bekräftigt (ggf. wird je nach Staat dabei die andere Hand auf die Bibel oder den Verfassungstext gelegt). Die Symbolhandlung, also die Verbindung von Wort und Geste im entsprechenden Bezugsrahmen (die Parlamentsversammlung und ihre höchsten Repräsentanten) setzt einen wirksamen Rechtsakt. Der gewählte Politiker ist nach dem Eid und der erfolgten Ernennung durch den Bundespräsidenten Bundeskanzler.

Es lohnt sich vielleicht, kurz beim letzten Beispiel zu bleiben. Man kann sich fragen, warum es für die Ernennung des Bundeskanzlers noch einen Ritus braucht. Es wäre schließlich auch möglich, den hier vollzogenen Rechtsakt auf einfachere Weise herbeizuführen, etwa schlicht durch einen Schriftwechsel und die Ausstellung einer Urkunde durch den Bundespräsidenten. Der Ritus gibt dem Geschehen allerdings eine andere Sichtbarkeit. Die öffentliche Ablegung des Amtseids hilft, die Legitimität des Aktes nach außen darzustellen. Schon ein Foto des Neugewählten mit erhobener Schwurhand ist eine bildliche (symbolische) Übersetzung des Geschehens, die auch zu dem spricht, der die Vereidigung nicht im Fernsehen oder gar live im Bundestag verfolgen konnte. Gerade politische Akte, die häufig in ihrer Materie kompliziert zu erklären sind, sind häufig durch Rituale begleitet. In früheren (massenmedial noch unbegleiteten) Staatsformen war die öffentliche Repräsentation und symbolische Kommunikation des Königs oder des Staates von höchster Bedeutung. Die Geste zählte oft mehr als das Wort. Auch in unserer Zeit der eher nüchtern-bürokratischen Staatsführung spielen sie durchaus noch eine Rolle. Wir kennen die Bilder vom rituellen Händeschütteln zwischen führenden Politikern, von Kranzniederlegungen, militärischen Ehren, von symbolischen Spatenstichen und dem Durchschneiden roter Bänder.

Der geschilderte Amtseid enthält einige charakteristischen Elemente, die im weiteren Verlauf auch für die Sakramente zu bedenken sind: Im Kern steht eine symbolische Handlung (Schwurhand), die von einer verbindlichen sprachlichen Formel (Amtseid) begleitet wird. Gültig wird der Rechtsakt erst dadurch, dass er in einem bestimmten Bezugsrahmen stattfindet (Volksgemeinschaft eines Staates, vertreten hier durch die gewählten Abgeordneten, erfolgte Wahl, bevollmächtigte Personen, Verfassung des Staates, rechtlicher Rahmen bei der Durchführung der Wahl und des Amtseids, Ernennungdurch den Bundespräsidenten). Lassen Sie diesen Bezugsrahmen weg, ist der Rechtsakt nicht gültig. Sie können bei sich im Wohnzimmer so viele Amtseide schwören, wie sie möchten – sie werden dadurch nie Bundeskanzler.

Ich möchte die hier als Beispiel genannte Vereidigung nur als Beispiel dafür nehmen, dass wir es in unserer Gesellschaft und Kultur durchaus noch mit „starken“ Symbolhandlungen zu tun haben. Die Parallele zu den Sakramenten soll nicht zu intensiv gezogen werden. Immerhin lässt sich das ursprünglich aus der Justizsprache stammende Wort „sacramentum“ vielleicht besser verstehen. Mir ging es vor allem um strukturelle Analogien, die symbolische Kommunikation auf verschiedenen Ebenen haben kann.


[1] https://www.domradio.de/artikel/mein-leben-war-noch-nie-so-spannend-wie-jetzt-der-priester-thomas-frings-ueber-seine.

[2] Franz-Josef Nocke, Allgemeine Sakramentenlehre, in: Schneider (Hg.), Handbuch der Dogmatik, Teil 2, 188-225, 196.

[3] Ebd.

[4] Thomas von Aquin, Summa Theologiae III, Q. 60,2.

[5] Die römische Kriegseröffnung – GRIN

3 Kommentare zu „Sakramente – Teil 1: Zeichen und Symbole

  1. Schon die lange Einleitung „beweist „, dass Thomas Frings rechthatte. Denn „eigentlich“ sollte dieses Wissen doch vorausgesetzt werdrn können. Eigentlich.
    Aber uneigentlich eben nicht.
    Helene Fischer eben.

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