Wozu soll das Fasten gut sein?

„Worauf möchtest du fasten?“ Diese Frage gehört zum Standardrepertoire von Schulgottesdiensten zur Fastenzeit. Gerade den Kindern und Jugendlichen wird nahegelegt, die 40 Fastentage zu nutzen, um auf bestimmte Dinge, die von Erwachsenen als schädlich angesehen werden, zu verzichten: Süßigkeiten, Computer, Handy, Cola, Eis usw. Das Fasten dient hier offenbar als erzieherisches Mittel zur Mäßigkeit und zu einem gesunden Lebensstil. In dieser Weise wird das Fasten auch von Erwachsenen praktiziert. Die Fastenzeit erscheint als günstige Gelegenheit, lästige, problematische oder ungesunde Praktiken zu unterbrechen. Im Kern geht es um eine Korrektur oder Optimierung des eigenen Lebens. Gegen ein solches Verständnis ist im Grunde nichts zu sagen. Es hat ja durchaus sein Gutes, auf fettes Essen, Alkohol, Zigaretten, Autofahren oder das Fernsehen zu verzichten, bzw. bewusst andere Dinge zu fördern, mehr Sport zu treiben, mehr Zeit für Freunde zu haben oder das ökologische Bewusstsein zu stärken.

Warum allerdings, sollte man aus religiösen Gründen fasten? In allen Religionen taucht das Fasten als Element auf, gibt es reservierte Zeiten und Gelegenheiten, zu denen es empfohlen oder auch gemeinschaftlich praktiziert wird. Im Christentum etablierten sich die zwei großen Fastenzeiten vor Ostern und vor Weihnachten. Ursprünglich hatten sie beide das 40tägige Fasten Jesu in der Wüste zum Vorbild. Die Adventszeit begann nach dem St. Martins-Tag am 11.11., die österliche Fastentag wie heute noch am Aschermittwoch, wobei ihr bereits eine „kleine“ Fastenzeit vorausging, die drei Wochen vor Aschermittwoch begann. Auf vierzig Fastentage kommt man, da die Sonntage in katholischer Tradition nicht mitgerechnet werden. Zudem ist jeder Freitag in Erinnerung an Leiden und Tod Christi ein Fasttag. Die Sitte, an diesem Tag zumindest auf Fleisch zu verzichten, rührt aus dieser Tradition. An ihnen wird das Fasten unterbrochen. Die strengsten Fastentage sind der Aschermittwoch und der Karfreitag, an dem empfohlen wird, nur eine sättigende Mahlzeit zu sich zu nehmen.

Der eigentliche religiöse Sinn des Fastens ist allerdings etwas verlorengegangen. Warum soll man fasten, wenn es nicht in erster Linie um eine Frage des persönlichen Lebensstils geht? Was ist also der „geistliche Sinn“ des Fastens? Die biblische und kirchliche Tradition kennen hierzu (mindestens) drei Antworten: Fasten als Ausdruck der Buße, Fasten als Mittel der Askese und das Fasten als Hilfe zur Nächstenliebe.

Mit der Buße, dem ersten Fastenziel, ist es so eine Sache. Das Wort ist aus dem aktiven Wortschatz fast verschwunden und hat sich lediglich im Strafrecht erhalten, wenn etwa für Verkehrsdelikte Bußgelder verhängt werden. Grundsätzlich ist die Buße ein Mittel, um Unrecht auszugleichen. Dabei sind Bußleistungen häufig symbolische Ersatzhandlungen für Dinge, die nicht mehr rückgängig zu machen sind. Es ist wie bei einer Wage: Wenn auf der „Schuldseite“ ein Gewicht aufgelegt wird, soll die auf die „Bußseite“ ein anderes gelegt werden, so dass die Wage wieder in das Gleichgewicht kommt. Buße und Strafe lassen sich oft nicht gut auseinanderhalten. Im Kern ist die Buße eine freiwillige Leistung, juristisch gesprochen, „unterhalb der Strafbewährung“, die Strafe eine Leistung zu der ich von einer höheren Autorität verpflichtet werde. In diesem Sinn wird die Buße biblisch als Handlung verstanden, um eine mögliche Strafe Gottes für die eigenen Vergehen abzuwenden. Man zeigt Reue, Einsicht und guten Willen. Die klassische Stelle hierfür ist das Auftreten des Propheten Jona in Ninive. Er hat eigentlich den Auftrag, der Stadt für das Vergehen ihrer Bürger das Strafgericht Gottes anzukündigen, was in diesem Fall die Vernichtung der Stadt bedeuten würde. Allerdings kommen die Einwohner Ninives diesem Urteil zuvor, rufen ein allgemeines Fasten aus und bedecken sich mit Bußgewändern. Sie zeigen in einem symbolischen Akt ihre Bereitschaft zur Umkehr und wenden so das drohende Gericht ab (Jon 3). Das Fasten, verstanden als demütiger Verzicht und als Einschränkung kann so als Zeichen des Menschen verstanden werden, sich in seinem Schicksal ganz in Gottes Hand zu geben und Vergebung zu erbitten. In diesem Sinn greift Jesus an einer Stelle des Evangeliums die Jona-Stelle auf, um die mangelnde Bereitschaft seiner Zeitgenossen zu kritisieren, sich zu Gott zu bekehren (Lk 11, 29ff.). Die Fastenzeit wird daher häufig mit dem Gesang begonnen. „Bekehre uns, vergib die Sünden, schenke, Herr, uns neu dein Erbarmen“. Fasten, Beten und Almosengeben, die klassische Trias der Fastenzeit wird so als Bußleistung verstanden, in der die Menschen Einsicht, Reue und Bekehrungsbereitschaft in symbolischen Handlungen ausdrücken.

Der zweite Aspekt, die Askese, ist ebenfalls schwer verständlich. Der Gedanke der Selbstbeschränkung um eines höheren religiösen Ziels wegen, leuchtet gerade nichtreligiösen Menschen nur schwer ein. In einer Präfation (einem gottesdienstlichen Gebet) zur Fastenzeit heißt es: „Durch das Fasten des Leibes hältst du die Sünde nieder, erhebst du den Geist.“ Im Kern geht es darum, durch das Fasten, aber auch z.B. durch sexuelle Enthaltsamkeit, die geistigen Kräfte zu sammeln. Der christliche Theologe Tertullian (2. Jh.) empfiehlt das Fasten aus diesem Motiv.[1] Sein Argument: Das Essen, vor allem das unmäßige Essen, versetzt den Körper in einen Zustand der Trägheit. Ein träger Mensch ist aber für die geistlichen Dinge viel weniger empfänglich. Zudem bewirkt die Trägheit eine Nachlässigkeit auch in anderen Lebensbereichen. Das aufmerksame christliche Leben erfordert also u.a. das Fasten für eine gesteigerte Aufmerksamkeit im geistlichen Leben und eine Verminderung der Sündenanfälligkeit im weltlichen Leben. Biblisch ist diese Form des Fastens gut bezeugt, etwa im Ersten Buch der Könige, wo eine Gerichtsverhandlung, bei der ein göttliches Urteil getroffen werden soll durch ein Fasten eingeleitet wird. Alle Anwesenden sollen so im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte sein (1Kön 21). Als die Israeliten nach der Exilszeit wieder nach Jerusalem kommen, wird das Verlesen des Gesetzes durch ein mehrtägiges Fasten eingeleitet, in dem Sündenvergebung erbeten wird und die Aufmerksamkeit für Gottes Wort erhöht werden soll (Neh 9). Bevor die Apostel in der Apostelgeschichte Vorsteher in den Gemeinden einsetzen, werden diese in einer Zeit des Fasten und des Gebets ausgewählt (Apg 14,23.). Auch das Fasten Jesu in der Wüste kann man in diesem Sinne verstehen. Es ist eine Zeit, in der die Entsagung die Offenheit für das Gespräch mit Gott öffnet (und den Kampf gegen die Versuchung), unterstrichen zudem durch die Wüste als „Ort ohne Ablenkung“.

Der Aspekt der gesteigerten Aufmerksamkeit spielt auch im dritten Fastenmotiv eine Rolle. Hier geht es um die Aufmerksamkeit für die Not der Armen. Eine (andere) Präfation sagt es so: „Die Entsagung mindert in uns die Selbstsucht und öffnet unser Herz für die Armen. Denn deine Barmherzigkeit drängt uns, das Brot mit ihnen zu teilen.“ In diesem Sinn gehört das Almosengeben zum festen Bestandteil der Fastenzeit. Es wird hier mit dem Fasten unmittelbar in Verbindung gebracht. In einem leicht verständlichen Sinn kommt diese Verbindung dadurch zustande, dass der Fastende die Situation des Mangels am eigenen Leib erfährt und somit ein tieferes Verständnis für die Not der Armen bekommt. Des Weiteren spart er durch die eigene Zurückhaltung Mittel ein, die er nun anderen zur Verfügung stellen kann. Zum dritten allerdings liegt in dieser „sozialen Ausrichtung“ des Fastens noch ein tieferer Sinn. In der großen alttestamentlichen Stelle über das Fasten beklagt der Prophet Jesaja dessen reine Symbolik. Er fordert, die Bekehrungsbereitschaft nicht bloß in rituellen Handlungen auszudrücken, sondern das Fasten, die Bekehrungsbereitschaft, stattdessen durch gute Werke zu bezeugen. Was nützt ein Fasten ohne ethische Auswirkungen? In Jes 58, 5-8 heißt es:

Ist das ein Fasten, wie ich es wünsche, ein Tag, an dem sich der Mensch demütigt: wenn man den Kopf hängen lässt wie eine Binse, wenn man sich mit Sack und Asche bedeckt? Nennst du das ein Fasten und einen Tag, der dem HERRN gefällt? Ist nicht das ein Fasten, wie ich es wünsche: die Fesseln des Unrechts zu lösen, die Stricke des Jochs zu entfernen, Unterdrückte freizulassen, jedes Joch zu zerbrechen? Bedeutet es nicht, dem Hungrigen dein Brot zu brechen, obdachlose Arme ins Haus aufzunehmen, wenn du einen Nackten siehst, ihn zu bekleiden und dich deiner Verwandtschaft nicht zu entziehen? Dann wird dein Licht hervorbrechen wie das Morgenrot und deine Heilung wird schnell gedeihen. Deine Gerechtigkeit geht dir voran, die Herrlichkeit des HERRN folgt dir nach.

Von dieser Stelle ist es nicht weit zu den „Werken der Barmherzigkeit“ (Mt 25), die Jesus als den wahren Gottesdienst und als Kernpunkt des religiösen Lebens verkündet. Das Fasten löst sich hier vom Gedanken der Enthaltsamkeit und wird stattdessen zu einer Frage der Nächstenliebe.


[1] Tertullian, Über das Fasten, in: Bibliothek der Kirchenväter, Bd. 24 (Tertullian II), 519-559.

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